Wie Lebensversicherer das Wiederanlage-Potenzial verspielen
Lebensversicherer lassen Milliardenpotenziale ungenutzt. Denn bei fälligen Kapitalleistungen wird die Chance zur Wiederanlage oft verschenkt. Dabei könnten gezielte Wiederanlageangebote an Bestandskunden nicht nur die Kapitalbindung erhöhen, sondern auch die Kundenbindung stärken. Doch nur rund die Hälfte der Kunden erhält überhaupt ein entsprechendes Angebot und noch weniger nehmen es an.

In einer Zeit, in der das Neugeschäft ins Stocken gerät, die Zinslage volatil bleibt und der Wettbewerbsdruck auf dem Versicherungsmarkt weiter zunimmt, richtet sich der Blick vieler Versicherer verstärkt auf den eigenen Bestand. Besonders im Bereich der Lebensversicherungen eröffnet sich dabei ein großes Potenzial. Doch die Wiederanlage von Kapitalbeträgen bei Vertragsablauf bleibt häufig ungenutzt.
Anzeige
Dass der Bestand als Wachstumsquelle zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist kein Zufall. Die steigenden Auszahlungssummen im Lebensversicherungsbereich sprechen eine klare Sprache. Wurden im Jahr 2002 noch 56,2 Milliarden Euro aus Lebensversicherungen ausgezahlt, so stieg dieser Betrag bis 2016 auf 87,6 Milliarden Euro und erreichte 2023 mit 96,5 Milliarden Euro ein neues Rekordhoch. Mit 46,3 Milliarden Euro entfiel ein wesentlicher Teil dabei auf Kapitalauszahlungen aus ablaufenden Hauptversicherungen.
Dieser Trend hat auch politische Ursachen. Denn viele Verträge wurden vor Einführung des Alterseinkünftegesetzes im Jahr 2005 abgeschlossen, um sich letztmalig die Steuerfreiheit der Erträge zu sichern. Diese Verträge laufen nun reihenweise aus und eröffnen Versicherern die Chance, Kunden mit passenden Wiederanlageangeboten an Bord zu halten.
Verschenkte Chancen im Bestand
Doch wie sieht die Realität aus? Dieser Frage hat sich Lars Heermann, Bereichsleiter bei der Rating-Agentur Assekurata, in einem Blogbeitrag gewidmet. Und: Eine Analyse auf Basis von Unternehmensratings und Kundenbefragungen offenbart ein ernüchterndes Bild. Nur 51 Prozent der rund 1.200 befragten Kunden, die eine einmalige Kapitalauszahlung erhalten haben, gaben an, ein Wiederanlageangebot von ihrem Versicherer erhalten zu haben. Die Spannweite zwischen den Anbietern ist dabei beträchtlich. Während der „beste“ Versicherer immerhin 64 Prozent seiner Kunden anspricht, kommt das Schlusslicht nur auf 23,4 Prozent.
Noch ernüchternder fällt die Annahmequote aus. Denn im Durchschnitt nimmt nur jeder dritte Kunde ein solches Angebot an. Der Spitzenwert liegt hier bei rund 62 Prozent. Der Tiefstwert kommt gerade einmal auf 2,7 Prozent. Im Ergebnis ergibt sich eine durchschnittliche Wiederanlagequote von lediglich 15 Prozent.
Ein weiterer Indikator für das ungenutzte Potenzial ist die Entwicklung der Einmalbeiträge im Neugeschäft. Während 2020 noch 22 Prozent des Neugeschäfts aus Einmalbeiträgen bestand (entspricht rund 38 Milliarden Euro), liegt dieser Anteil heute bei nur noch 14,54 Prozent – rund 25 Milliarden Euro. Die Abwärtsspirale ist nicht nur Ausdruck wirtschaftlicher Unsicherheit, sondern auch der Tatsache geschuldet, dass viele Versicherer nicht ausreichend Anreize für Wiederanlage schaffen.
Was Versicherer jetzt tun sollten: Personalisierung und Prozessinnovation
Die Herausforderung ist klar umrissen: Wer die Wiederanlagequote steigern will, muss mehr tun als ein pauschales Angebot kurz vor Vertragsablauf zu verschicken. Vielmehr geht es um ein systematisches, personalisiertes und langfristig angelegtes Wiederanlagemanagement.
Dazu gehören:
- Frühzeitige Kundenansprache – idealerweise bereits Jahre vor Ablauf.
- Maßgeschneiderte Produkte, die auf individuelle Lebenssituationen zugeschnitten sind.
- Crossmediale Kommunikation, die persönliche Beratung mit digitalen Self-Service-Angeboten kombiniert.
- Ganzheitliche Ruhestandsplanung, die Kapitalanlage, Pflegevorsorge, Vermögensübertragung und Steuerthemen integriert.
Wer es schafft, Kunden auf ihrem Weg in den Ruhestand mit Mehrwert zu begleiten, stärkt nicht nur deren Bindung an den Versicherer, sondern sichert sich langfristig ein Stück vom wachsenden Wiederanlagemarkt.
Gerade in der Lebensversicherung entscheidet die Tiefe der Kundenbeziehung über die Zukunft des Bestands. Eine professionelle Ruhestandsplanung, die nicht nur auf ein Produkt, sondern auf den gesamten Lebenskontext eingeht, schafft Vertrauen und verhindert, dass Kunden mit dem Kapital in Richtung Bank, Investmenthaus oder digitale Wettbewerber abwandern.