Recht auf Reparatur: So verändert sich das Schadenmanagement
Bis Ende Juni 2026 muss Deutschland das EU-Recht auf Reparatur in nationales Recht umgesetzt haben. Das Ziel: Langlebigere Produkte herzustellen, Abfall vermeiden und die Umwelt schonen. Was das für Versicherer bedeutet, erklärt Arie Struik, Gründer und CEO von ValueChecker.ai.

Wenn etwas beschädigt oder gestohlen wird – sei es durch Einbruch, Vandalismus oder auch versehentlich – erstatten die Assekuranzen üblicherweise den Zeitwert. Mit dem kommenden Recht auf Reparatur könnte sich das ändern.
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Refurbished statt neu gekauft
Die neuen Vorschriften sehen vor, dass die Hersteller etwa von Smartphones, Küchengeräten oder Elektronik künftig Ersatzteile und Informationen vorhalten müssen, um defekte Geräte leichter zu reparieren. Dafür soll sogar das Gewährleistungsrecht angepasst werden. Darüber hinaus gibt es Überlegungen, finanzielle Anreize zu schaffen, um Reparaturen zu fördern. Beispielsweise wird über Gutscheine diskutiert und Plattformen, die Verbrauchern dabei helfen sollen, Werkstätten zu finden und ihre defekten Gegenstände reparieren zu lassen anstatt neue zu kaufen. Damit rennt der Gesetzgeber womöglich offene Türen ein.
Wie der TÜV-Verband mitteilt, hat ein Drittel der Verbraucher bereits Erfahrungen damit gemacht, gebrauchte oder wieder aufbereitete („refurbished“) Geräte zu kaufen. Bei den Unter-30-Jährigen waren es sogar mehr als die Hälfte. Am häufigsten werden Smartphones, Tablets oder Laptops wiederaufbereitet gekauft. Das sind gleichzeitig auch die am häufigsten versicherten Artikel, für die Schäden gemeldet werden. Vom gesprungenen Display über Wasserschäden bis hin zum geklauten Telefon ist alles dabei. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Mehr als drei Viertel der vom TÜV-Verband Befragten wünschen sich Produkte, die sich besser mit der Umwelt vertragen, langlebig sind und sich gut recyceln lassen.
In einer Studie hat die französische Regierung bereits 2022 ermitteln lassen, wie sich refurbished Elektronikgeräte auf die Umwelt auswirken. Allein bei Laptops liegen die positiven Effekte bei bis zu 97 Prozent, Smartphones kommen auf einen Wert von bis zu 87 Prozent und Tablets liegen immerhin noch bei bis zu 80 Prozent. Diese hohen Werte kommen zustande, weil sich allein bei einem refurbished Smartphone mehr als drei Viertel an CO2 einsparen lässt, verglichen mit einem brandneuen Modell. Beim Wasser sind es sogar rund 90 Prozent. Zudem werden weniger Lithium, Kobalt und seltene Erden benötigt.
Nachhaltiges Schadenmanagement
Angesichts dieser starken Umwelteinflüsse liegt es auf der Hand, auch bei versicherten Geräten umzudenken. Was wäre, wenn die Versicherer nicht mehr Bargeld erstatten, damit sich die Kunden ein neues Gerät kaufen können, sondern Gutscheine verteilen, um ein refurbished Gerät zu kaufen oder sich die Kosten für eine Reparatur erstatten zu lassen? Vorbild dafür sind die Niederlande, wo die großen Versicherer bereits damit begonnen haben, einen entsprechenden Dienst aufzubauen, bei dem sie Gutscheine ausgeben für lokale Reparaturen (vgl. Abb. 1) oder ein Ersatzgerät, das wiederaufbereitet worden ist.
Die Daten zeigen, dass dieses Angebot bei den Kunden sehr gut ankommt. Statt sich darüber zu ärgern und im Zweifelsfall auch nicht verstehen zu können, warum die Versicherer allenfalls einen Bruchteil der ursprünglichen Kosten erstatten, bekommen sie ihr Gerät entweder repariert oder ein vergleichbares, das sie vor Ort abholen können. Vom niederländischen Versicherungssektor erhobene Zahlen deuten darauf hin, dass dadurch auch die Kundenzufriedenheit steigt. Bei Anbietern, die dieses Modell einsetzen, steigt der Net Promoter Score (NPS) um bis zu 20 Punkte.
Damit dieses Zusammenspiel zwischen Versicherern, lokalen Händlern und Kunden funktioniert, kommt es auf vier Schlüsselfaktoren an:
- Ein breites Netzwerk zuverlässiger lokaler Werkstätten stellt sicher, dass Versicherungsnehmer ihr Gerät problemlos reparieren lassen können, ohne die Kosten vorstrecken und beim Versicherer erneut geltend machen zu müssen.
- Eine umfassende Datenbank, die es Versicherern ermöglicht, schnell Ersatz für gemeldete Schäden zu finden – zum korrekten und fairen Preis.
- Ein System, das den Gerätetyp und das Modell anhand eines einzigen Fotos erkennen kann, um sicherzustellen, dass der korrekte Ersatz identifiziert und ein passender Gutschein ausgestellt wird.
- Ein vollständig automatisierter Schadenbearbeitungsprozess, der Kunden ermöglicht, Schäden einfach zu melden und den Schaden zügig zu regulieren.
KI als ein Puzzleteil
Eine automatisierte Schaden-Engine sorgt schließlich dafür, dass sich die Kosten eines refurbished Geräts schnell ermitteln lassen und auch, ob und wo es verfügbar ist. Gibt es einen Ersatz, stellt das System sofort einen Gutschein aus mit dem die versicherte Person das Gerät entweder abholen oder sich aus einem Online-Shop zusenden lassen kann (vgl. Abb 2).
Damit dieses System funktioniert, kommt es auch auf künstliche Intelligenz an. Sie spielt eine der Schlüsselrollen, wenn es darum geht, eingereichte Fotos und Rechnungen auszuwerten oder die von Kunden mitgelieferten Beschreibungen des Schaden zu bewerten, um die Art des Schadens zu bestimmen. KI nimmt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Claims Handling die Arbeit ab, beschädigte Produkte erst zu identifizieren, dann zu prüfen, ob Ersatz verfügbar ist, und schließlich den Auszahlungsbetrag festzusetzen.
KI nimmt den Menschen also vor allem die Fleißarbeiten ab. Sie stellt insofern ein unverzichtbares Puzzlestück für ein automatisiertes Claims Handling dar, bringt für sich allein aber nicht die nötigen Vorteile. Ohne ein breites Netzwerk an Retailern und einen umfassenden Datenpool über die versicherten Gegenstände geht es nicht. Dies zeigt einmal mehr, dass KI zwar kein Allheilmittel ist, wohl aber geeignet, um sich wiederholende Abläufe deutlich zu beschleunigen und teure Fachkräfte von vergleichsweise einfachen Aufgaben zu entlasten.
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