Mit Urteil vom 22. Januar 2025 (Az. L 5 BA 1266/24) hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden, dass eine Ärztin, die im Auftrag einer Gemeinde die zweite Leichenschau durchführt, nicht als scheinselbstständig gilt. Der Rentenversicherungsträger hatte zunächst Rentenversicherungsbeiträge gefordert, da er die Tätigkeit als abhängige Beschäftigung einstufte, doch das LSG entschied anders.

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Die Ärztin wurde regelmäßig damit beauftragt, die zweite Leichenschau durchzuführen, eine Pflichtaufgabe, die notwendig ist, um den Verstorbenen für die Feuerbestattung freizugeben. Dabei bestätigte sie, dass der Tod natürlichen Ursprungs war. Im Gegensatz zu einer regulären Anstellung in der Verwaltung wurde diese Tätigkeit nicht im Rahmen eines festen Arbeitsverhältnisses durchgeführt. Stattdessen gab es eine mündliche Vereinbarung zwischen der Ärztin und der Gemeinde, dass für jede durchgeführte Leichenschau ein Pauschalbetrag von 30 Euro gezahlt wird – abweichend von der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).

Die Ärztin war nicht die einzige, die mit der Durchführung der Leichenschau betraut war. In der Regel wurde sie kurzfristig – meist telefonisch – von der Stadt beauftragt, gemeinsam mit anderen ermächtigten Ärzten, die sich gegenseitig bei der Leichenschau abwechselten. Diese Absprachen waren flexibel und es wurde keine Ersatzkraft im Falle einer Verhinderung gestellt. Die eigentliche Arbeit der Ärztin bestand lediglich darin, die Bescheinigung über den Tod auszustellen und den Tod als natürlichen Ursprung zu bestätigen. Für den gesamten Ablauf, einschließlich der Bereitstellung und des Entkleidens der Leichen, waren städtische Mitarbeiter zuständig.

Rentenversicherung forderte Rentenbeiträge

Trotz dieser Vereinbarungen betrachtete der Rentenversicherungsträger die Tätigkeit der Ärztin zunächst als abhängige Beschäftigung und forderte entsprechende Rentenversicherungsbeiträge von der Ärztin und der Gemeinde. Der Träger argumentierte, dass die Ärztin aufgrund der vorgegebenen Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen in die Arbeitsorganisation der Gemeinde integriert sei und somit als abhängig beschäftigte Person einzustufen sei. Diese Einschätzung wurde jedoch vom LSG zurückgewiesen.

Doch warum gab das Gericht der Gemeinde Recht?

Das Landessozialgericht erklärte, dass die Tätigkeit der Ärztin nicht als abhängige Beschäftigung zu werten ist. Die Leichenschau wurde als „Hoheitsakt“ eingestuft, der aufgrund behördlicher Beleihung auf die Ärztin übertragen wurde, die dabei in voller Eigenverantwortung handelte. Das Gericht betonte, dass die Ärztin nicht im Auftrag der Behörde, sondern als hoheitlich befugte Person auftrat. Sie stellte die Urkunde im eigenen Namen aus, und die gesamte Entscheidungsbefugnis lag bei ihr. Sie war nicht weisungsgebunden gegenüber der Gemeinde oder deren Mitarbeitern, sondern handelte auf Grundlage der rechtlichen Kompetenz, die ihr durch die Beleihung der Behörde zugewiesen wurde.

„Bei der zweiten Leichenschau handelt es sich um einen Hoheitsakt, der kraft Beleihung von einer Behörde auf Dritte übertragen wird“, so das Urteil des LSG. Der hoheitliche Charakter der Tätigkeit, verbunden mit der rechtlichen Befugnis, die Bestätigung über den natürlichen Tod auszustellen, war ein zentrales Element, das die selbstständige Natur dieser Tätigkeit unterstrich.

Kein Eingliederung in die Gemeindeorganisation

Ein weiterer wichtiger Punkt für das Gericht war, dass die Ärztin nicht in die Arbeitsabläufe der Gemeinde eingebunden war. Sie nahm ihre Tätigkeit in völliger Unabhängigkeit vor, ohne Teil der administrativen Strukturen der Gemeinde zu sein. Ihre Aufgabe war strikt auf die Leichenschau beschränkt, deren Rahmenbedingungen (Ort und Zeitpunkt) sich aus der Art der Tätigkeit selbst ergaben – und nicht durch eine Weisung der Gemeinde. Das Gericht erklärte: „Bei der Leichenschau bestimmen der Todeszeitpunkt und der Ort der Durchführung – in der Regel der Friedhof – allein die Rahmenbedingungen der Tätigkeit.“

Fehlende Arbeitsvergütung

Das Gericht stellte zudem fest, dass die 30 Euro pro Leichenschau nicht als Arbeitsentgelt gelten, da diese Gebühren zunächst von der Gemeinde gezahlt und später den Hinterbliebenen in Rechnung gestellt werden. Auch dadurch wurde die Tätigkeit der Ärztin nicht als ein Arbeitsverhältnis angesehen, sondern als eine selbstständige Leistung.

Fazit: Klare Abgrenzung von Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung

Das Urteil des LSG verdeutlicht, dass eine Tätigkeit wie die der Ärztin, die hoheitliche Aufgaben in eigenem Namen und mit voller Entscheidungsbefugnis ausführt, nicht als abhängige Beschäftigung gilt. Die Ärztin handelte in diesem Fall eigenverantwortlich und ohne Weisungsgebundenheit, was sie eindeutig in den Bereich der Selbstständigkeit einordnet.

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Das Urteil hebt hervor, dass für die Einstufung als scheinselbstständig nicht allein die formale Beauftragung ausschlaggebend ist, sondern auch die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit und die Eigenverantwortung des Handelnden. Die selbstständige Tätigkeit der Ärztin als Leichenbeschauerin zeigt deutlich, dass diese nicht unter die Sozialversicherungspflicht fällt. Das Urteil ist auf der Webseite der Sozialgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland verfügbar.