Der Euro-Rettungsschirm hat die Europäische Währungsunion (EWU) in der akuten Krise vor dem Auseinanderbrechen bewahrt. Doch wenn zentrale strukturelle Probleme der Währungsgemeinschaft nicht gelöst werden, bleibt ihre Stabilität prekär: Schwache Mitgliedsstaaten wie Griechenland haben unter den aktuellen Bedingungen wenig Chancen, ein hohes Wachstum zu erreichen und so ihre Staatsverschuldung verringern zu können.
Laufen die Rettungsmaßnahmen aus und verbessert sich bis dahin nicht die Gesamtsituation in der EWU, besteht für solche Länder mittelfristig weiterhin ein hohes Risiko, Ziel spekulativer Attacken zu werden.
Und massive Zahlungsschwierigkeiten eines großen Mitgliedslandes der EWU könnten selbst den Rettungsschirm überfordern. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in einer neuen Untersuchung. "Die Erwartung, dass der Garantiefall für ein großes Land auch tatsächlich eintreten könnte, sollte möglichst gar nicht entstehen", schreiben die Wissenschaftler im neuen IMK Report. Da die Rettungsmaßnahmen aber nichts an den bisherigen Fehlentwicklungen im Euroraum ändern, könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch ein großes Land in Schwierigkeiten gerät. Die EWU benötige daher dringend "neue Rahmenbedingungen, die außenwirtschaftliche Ungleichgewichte stärker berücksichtigen".
Die Forscher rekonstruieren Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen der Euro-Krise und ihrer Eindämmung. Ihre Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Euro-Länder, die in den vergangenen Monaten von deutlich steigenden Risikoaufschlägen an den Finanzmärkten betroffen waren, ihre Probleme nicht allein durch einen staatlichen Sparkurs werden lösen können.
Grund: Die vermeintlich homogene Gruppe der "Schuldenstaaten" ist bei näherer Betrachtung heterogen und die Staatsschulden sind oft nicht das zentrale Problem. Eine sehr hohe öffentliche Verschuldung von mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) wiesen vor Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise Griechenland und Italien auf.
In beiden Staaten gelang es aber, seit Beginn der Währungsunion 1999 den Schuldenstand leicht zu reduzieren. In Spanien und Irland sank die staatliche Verschuldung zwischen dem Beginn der Währungsunion und dem Ausbruch der Finanzkrise hingegen sogar deutlich auf ein niedriges Niveau: In Irland von 49 Prozent des BIP auf 25 Prozent, in Spanien von 62 Prozent auf 36 Prozent. Die Staatsschulden stiegen hier, ebenso wie in den Euro-Staaten, die nicht von spekulativen Attacken betroffen waren, erst, als die Regierungen mit hohen Ausgaben auf die Finanz- und Wirtschaftskrise reagieren mussten.
Deutliche Unterschiede zeigen die von Risikoaufschlägen betroffenen Staaten auch bei der Wirtschaftsentwicklung. So blieb das Wachstum in Italien und Portugal unter dem Durchschnitt des Euro-Raums, während Spanien, Irland und Griechenland überdurchschnittlich stark wuchsen. Treibende Kraft in diesen Ländern war die Binnennachfrage.
Als wichtigste Gemeinsamkeit zwischen den Ländern identifizieren die Forscher des IMK vielmehr seit Jahren wachsende Leistungsbilanzdefizite.
Hauptursache dafür: Höhere Lohnsteigerungen als im Durchschnitt des Euroraums haben zu einem Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit geführt, insbesondere gegenüber Deutschland, wo die Löhne sich nur schwach entwickelten. Die hartnäckigen Defizite in der Leistungsbilanz signalisieren nach der IMK-Analyse, dass in diesen Ländern nicht nur der Staat, sondern vor allem auch der Privatsektor gegenüber dem Ausland verschuldet ist.
"Das impliziert, dass der Privatsektor in den kommenden Jahren sparen muss, um seine Verschuldung abzubauen. Weil damit Nachfrage fehlen wird, können die hohen Wachstumsraten der Binnenwirtschaft aus der Vergangenheit kaum gehalten werden", schreiben die Wissenschaftler.
Gerade im Falle Griechenlands könnte ein strikter Sparkurs die Probleme des Landes verschärfen, analysiert das IMK und verweist auf entsprechende Warnungen der OECD.
"Mit großer Sicherheit wird der geforderte massive Sparkurs das Wachstum so sehr beeinträchtigen, dass die für die Konsolidierung notwendigen Steuereinnahmen nicht erzielt werden können", prognostizieren die Düsseldorfer Ökonomen. Der absehbare Verlust an binnenwirtschaftlicher Dynamik wiege besonders schwer, weil Griechenland "unter den derzeitigen institutionellen Bedingungen des Euroraums keine realistischen Aussichten auf eine Verbesserung seiner relativen Wettbewerbsfähigkeit und damit von Außenhandelsüberschüssen" habe.
Eine nachhaltige Stabilisierung der Euro-Zone könne daher nur gelingen, wenn der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt grundlegend reformiert werde, betonen die Experten.
In einem eigenen Reformkonzept hat das IMK kürzlich vorgeschlagen, dass der Pakt künftig nicht nur Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung der Mitgliedsländer berücksichtigt, sondern auch die Verschuldung des privaten Sektors.
Ein guter Indikator dafür wäre die nationale Leistungsbilanz, deren Saldo sich in einem Korridor zwischen plus zwei und minus zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bewegen sollte. Damit würden nicht nur Staaten mit dauerhaft defizitärer Leistungsbilanz als Risiko für die Stabilität der Währungsunion wahrgenommen, sondern auch Länder mit chronischen Leistungsbilanzüberschüssen.
Hans-Böckler-Stiftung / IMK