Gesetzliche Pflegeversicherung reicht im Ernstfall nicht
Die Herausforderungen, die sich durch den demographischen Wandel ergeben, waren Thema des "5. Demographie-Kongress" in Berlin. Was es bedeuten kann, angesichts der veränderten sozialen Strukturen Verantwortung zu übernehmen, wurde besonders bei der Suche nach Lösungsansätzen im Pflegebereich deutlich.
„Wir beklagen die wachsende Zahl Pflegebedürftiger und vergessen dabei zu leicht: Pflege ist auch deshalb ein Thema, weil medizinischer Fortschritt und vorteilhafte Lebensumstände uns zusätzliche Lebensjahre bescheren. Existenzsicherung und Erhalt von Lebensqualität hier bei uns in Deutschland findet vor dem Hintergrund erfreulich guter Voraussetzungen statt“, so brachte Thomas Michels, Vorstand der DBV Deutsche Beamtenversicherung Krankenversicherung, positive Aspekte in eine aktuelle Debatte ein.
Er formulierte diese Einschätzung im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf dem 5. Demographie-Kongress im dbb forum berlin am heutigen Montag. Das Podium diskutierte das Thema Pflegebedürftigkeit unter dem Titel „Generationensolidarität bei veränderten Familien- und sozialen Strukturen“.
Hinter verschlossenen Türen Pflege aus der Privatheit herausholen
Ebenfalls in der Runde vertreten war die ehemalige Bundesfamilienministerin Prof. Ursula Lehr. Als Vorsitzende der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen) wies sie auf die Bereitschaft zur Pflege innerhalb der Familie hin.
Heute noch würden etwa 60 bis 70 Prozent der Pflegebedürftigen von der Familie betreut.
„Doch Familienpflege hat ihre Grenzen. In Zukunft können wir uns nicht auf dieses Modell verlassen, denn wer Kinder hat, lebt oft weit von ihnen weg. Auch die Herausforderung, die eigene Berufstätigkeit mit der Pflege der Eltern zu vereinbaren, steht dem entgegen“, so Lehr. Wie hoch die Belastung für pflegende Angehörige ist, verdeutliche eine Studie:
„Alle 100 pflegenden Töchter über 55 Jahren, die im Rahmen der Studie befragt wurden, stimmten überein: ‚Meinen Kindern mute ich das später nicht zu. Da gehe ich lieber in ein Heim.’“, zitiert Lehr.
Die veränderten sozialen Strukturen mit räumlich getrennten Familienverbünden, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und vor allen Dingen die Überforderung pflegender Angehöriger machen deutlich, dass Lösungen erforderlich sind.
Olaf Christen, AWO-Referent für Altenhilfe und Projektleiter (Online) Pflege- und Seniorenberatung sah als wichtigsten Schritt die Notwendigkeit, Pflege aus der Privatheit herauszuholen:
„Die wichtigste Frage ist doch, wie wir es schaffen, Pflegebedürftigen und ihren pflegenden Angehörigen Unterstützung anzubieten. Viel zu häufig müssen sie mit den Belastungen, Problemen und Fragestellungen alleine klarkommen. Die professionelle Unterstützung der privaten Pflege ist ein wichtiger Baustein in der Lösung der Pflegeproblematik.“
Bessere Verzahnung der Versorgungsformen gefordert
In diesem Zusammenhang führte Prof. Adelheid Kuhlmey vom Institut für Medizinische Soziologie der Charité die Ausführungen ihres Vortrags vom Vormittag „Alter(n) und das Risiko Pflegebedürftigkeit“ weiter aus.
Zur Unterstützung der Familien sei eine Ausdifferenzierung der ambulanten Versorgung und eine bessere Verzahnung verschiedener Versorgungsformen unumgänglich.
„Was aber im Nachdenken über Pflegebedürftigkeit keinesfalls vernachlässigt werden darf: Sie ist kein unbeeinflussbares Schicksal. Das Risiko, zum Pflegefall zu werden, kann vielmehr durch Prävention und Gesundheitsförderung minimiert werden. Hier gilt es anzusetzen“, forderte Kuhlmey.
Aufklärung der Gesellschaft ist auch Aufgabe der Medien
Ein Bewusstsein in der Gesellschaft für Prävention und für die praktischen und finanziellen Herausforderungen zu fördern, die mit der steigenden Anzahl Pflegebedürftiger verbunden sind, diese Aufgabe fiele auch den Medien zu.
Mit diesem Hinweis brachte Dr. Uwe Preusker, Leiter des Deutschen Pflegekongresses, einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein.
Die Aufklärung darüber, dass die gesetzliche Pflegeversicherung nur eine Grundabsicherung ist und keine vollständig ausreichende finanzielle Absicherung für den Pflegefall bietet, sei noch nicht allgemein verbreitet.
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