Eigentlich scheint es so, als seien die privaten Krankenversicherungen gut für die demografische Herausforderung gerüstet. Rund 155 Milliarden Euro Altersrückstellungen haben die Assekuranzen in den letzten Jahren ansparen können, davon 21 Milliarden Euro für die Pflegevorsorge. Auf diese Zahlen wurde von Branchenvertretern stolz verwiesen, wenn es darum ging, die Überlegenheit der kapitalgedeckten Vorsorge gegenüber dem gesetzlichen Umlageverfahren zu betonen. Doch neue Studien lassen aufhorchen: Experten befürchten, dass die private Assekuranz schon bald in einen gefährlichen Abwärtsstrudel gerissen werden könnte. Schlimmstenfalls droht ein Bankrott mehrerer Anbieter.

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Als Ursache für den erwarteten Abwärtstrend werten Experten das schlechte Neugeschäft. Weniger als 100.000 Versicherte gewannen die 47 deutschen Privatversicherer im Jahr 2009 hinzu, die Zahl der Neuabschlüsse ist stark rückläufig. Marktriesen wie die Allianz und die Deutsche Krankenversicherung haben sogar mit Kundenverlusten zu kämpfen. Weil jedoch ein aggressiver Wettkampf um Neukunden herrscht, junge und gesunde Versicherungsnehmer mit niedrigen Beiträgen gelockt werden, sind die Prämien in der Anfangsphase zu niedrig kalkuliert, ist das Ansparen eines Kapitalstockes für das Alter kaum möglich. Infolge dessen schnellen die Beiträge in der PKV für ältere Versicherte in die Höhe, bis die Zumutbarkeitsgrenze überschritten ist.

Studie stellt Wirtschaftlichkeit der PKV in Frage

Bernd Raffel vom Freiburger Institut für Zukunftsforschung stellte hierzu am Dienstag eine Studie mit dem dem Titel „Demografie und Alter“ vor, die von der AOK Sachsen-Anhalt finanziert und in Auftrag gegeben wurde. Seine Prognosen stimmen wenig optimistisch. „Im Jahr 2040 könnte das Durchschnittsalter der Privatversicherten durchschnittlich 71,23 Jahre betragen“, betonte Raffel, „infolge dessen müssen sich Mitglieder auf rapide steigende Beiträge einstellen. Die Prämien müssten um 1000% steigen, um das jetzige Niveau der Versorgung aufrecht zu erhalten.“

Seine Schlussfolgerungen stoßen die private Assekuranz vor den Kopf. „In einer alternden Gesellschaft können wir uns das marktwirtschaftliche Prinzip der Altersvorsorge nicht mehr leisten, denn ein tatsächlicher Wettbewerb ist nur hinsichtlich der Neuwerbung von Kunden möglich. Wenn jedoch der Großteil privatversicherter Patienten eine ähnliches Krankheitsrisiko aufweist, ist eine individuelle Berechnung der Prämien nicht mehr gewährleistet. Folglich gleichen sich die privaten Assekuranzen in ihren Leistungen und Beiträgen immer mehr an. Der Markt schafft sich quasi selbst ab, indem er den Faktor Demografie nicht ausreichend berücksichtigt.“
Als möglicher Ausweg schwebt ihm vor, einen einheitlichen Tarif für alle Privatpatienten einzuführen. „Die Monatsprämien müssen übergreifend bei 599,67 Euro festgesetzt werden, um die steigenden Kosten aufzufangen. Zugleich ist ein steuerfinanzierter Sozialausgleich erforderlich, der an den Lohn des Versicherungsnehmers gekoppelt ist.“

Der Finanzwissenschaftler verwies auf ein weiteres Problem: die allgemeinen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen belasten die private Assekuranz weitaus stärker als die gesetzlichen Kassen. So seien die Arzthonorare mehr als doppelt so hoch, auch in teuere Serviceleistungen muss mehr Geld investiert werden, sind diese doch vertraglich garantiert. Manche Ärzte nutzen die Vorteile der höheren Vergütung schamlos aus, indem sie operieren, wo ein einfaches Placebo ausreichen würde. Auch die beängstigend steigende Zahl an qualifizierten Fachkräften in den Krankenhäusern bereitet Bernd Raffel Sorge. Er kritisiert: „Weil Privatpatienten eine Chefarztbehandlung geltend machen können, gibt es an manchen Kliniken mittlerweile mehr Chefärzte als Pfleger.“ Ihre Zahl habe sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht, so der Forscher.

Krankenkassen geloben Besserung

Gesundheitsminister Philipp Rösler nahm die neuen Erkenntnisse zum Anlass, am Donnerstag unerwartet einen Gesundheitsgipfel einzuberufen. Neben Sozialverbänden waren auch Branchenvertreter zu diesem Treffen geladen. „Es gab Kaffee und Kuchen, gebacken von Ursula von der Leyen, und diskutiert wurde bis spät in die Nacht“, bestätigte ein Insider gegenüber Versicherungsbote.
Rösler erklärte, dass er zwar als Befürworter der privaten Vorsorge gelte, aber notfalls gewillt sei, unpopuläre Konsequenzen durchzusetzen. „Wir haben es mit einer nie dagewesenen Situation zu tun. Die private Assekuranz befindet sich auf dem direkten Weg in die Discount-Medizin. Hier gilt es, einen Riegel vorzuschieben.“ Zugleich forderte er die privaten Krankenversicherer auf, den angesparten Kapitalstock innerhalb der nächsten zwei Jahre zu verdoppeln: Nur so könne eine Grundlage geschaffen werden, um die entstehenden Finanzierungslücken auszugleichen.

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Die private Assekuranz versicherte jedoch, bereits ausreichend vorgesorgt zu haben. Volker Lachenbach vom Verbund der PKV bestätigte gegenüber Pressevertretern, dass man sich bereits in Verhandlungen mit Ärzteverbänden befinde, um – ähnlich dem Basistarif – einen niedrigeren Ärzte-Honorarsatz für alle Privatpatienten auszuhandeln. „Gerade bei den Chefarzthonoraren ist es sicher möglich, die Kosten für die Versicherer zukünftig dauerhaft zu senken.“ Auch bei den Vermittlungsprovisionen für Makler sieht Lachenbach ein deutliches Sparpotential: „Wir drehen das bisherige Prinzip der Vergütung einfach um. Zukünftig sollen die Makler dafür zahlen, dass sie die hochwertigen Produkte der PKV vertreiben dürfen. Nur so ist langfristig eine hohe Qualität der Beratung gewährleistet.“



Mirko Wenig