Tariflöhne und -Gehälter: Trotz höherer Abschlüsse ein reales Minus
Die Tarifabschlüsse stiegen 2011 deutlich - Doch dank der ebenfalls saftigen Preisanstiege ist bei den Realeinkommen ein Minus zu verzeichnen. Zu diesem Ergebnis kommt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Bilanz der Tarifpolitik für das Jahr 2011. Im Versicherungsgewerbe stiegen die nominalen Tariflöhne (ohne Preisbereinigung) sogar nur um 1,1 Prozent.
Die Tarifabschlüsse lagen im vergangenen Jahr deutlich über denen des Vorjahres. In einer Reihe von Branchen wurden 2011 Tarifsteigerungen von 3 Prozent und mehr vereinbart. Die Bedeutung der Pauschal- und Einmalzahlungen ging zurück, es wurden vermehrt dauerhafte Tarifanhebungen vereinbart. Rechnet man die Abschlüsse mit ihren unterschiedlichen Laufzeiten auf das Jahr um und berücksichtigt auch die länger laufenden Abschlüsse aus dem Vorjahr, dann ergibt sich insgesamt ein kalenderjährlicher Anstieg der nominalen Tariflöhne und -gehälter 2011 von durchschnittlich 2,0 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt die Bilanz der Tarifpolitik des Jahres 2011, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung am Freitag vorgelegt hat.
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Diese positive Entwicklung hat sich jedoch nur teilweise auf die Entwicklung der Realeinkommen niedergeschlagen. "Der unerwartet starke Anstieg der Verbraucherpreise hat die Tarifsteigerungen in vielen Branchen wieder aufgezehrt", sagt Dr. Reinhard Bispinck, Leiter des WSI-Tarifarchivs. Da sich die Verbraucherpreise im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent erhöhten, ergibt sich im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt ein realer Rückgang der Tariflöhne und -gehälter um 0,3 Prozent.
Bei den effektiven Bruttoeinkommen fiel der Zuwachs höher aus: Sie sind im vergangenen Jahr nominal je Arbeitnehmer/in um 3,4 Prozent, auf Stundenbasis um 2,8 Prozent gestiegen, preisbereinigt bedeutet dies einen Anstieg um 1,1 Prozent bzw. 0,5 Prozent. Ursache für diese positive Lohndrift sind im Wesentlichen der weitere Rückgang der Kurzarbeit, das gestiegene Überstundenvolumen und nicht tariflich geregelte Bonuszahlungen in manchen Betrieben und Branchen.
Der neutrale Verteilungsspielraum, der sich aus dem Anstieg von Verbraucherpreisen (+2,3 Prozent) und Arbeitsproduktivität (+1,2 Prozent) ergibt, belief sich für 2011 auf 3,5 Prozent.
Insgesamt schlossen die DGB-Gewerkschaften in Deutschland im vergangenen Jahr Lohn- und Gehaltstarifverträge für rund 9,2 Millionen Beschäftigte ab, darunter etwa 7,9 Mio. in den alten und 1,3 Mio. in den neuen Bundesländern. Die Laufzeit der Verträge beträgt durchschnittlich 22,8 Monate und liegt damit nur geringfügig niedriger als im Vorjahr mit 24,3 Monaten. Für weitere 7,4 Mio. Beschäftigte traten im Jahr 2011 Erhöhungen in Kraft, die bereits 2010 oder früher vereinbart worden waren.
In diesem Jahr stehen neben den Verhandlungen im öffentlichen Dienst (Bund, Gemeinden) auch Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie sowie im Bankgewerbe, in der chemischen Industrie, in der Textil- und Bekleidungsindustrie, im Kfz-Gewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in verschiedenen Bereichen der Ernährungswirtschaft an. Verhandelt wird auch bei großen Unternehmen wie der Deutschen Telekom und bei Volkswagen. Die vorliegenden Tarifforderungen bewegen sich zwischen 5 und 7 Prozent.
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Die Ausgangssituation für die Tarifrunde 2012 ist für die Gewerkschaften nach Auffassung des WSI-Tarifexperten ungünstiger als im Vorjahr, denn für dieses Jahr wird allgemein mit einer Stagnation der wirtschaftlichen Entwicklung gerechnet. "Angesichts der absehbaren Abschwächung des Exports kommt jedoch einer Stärkung der Binnennachfrage in diesem Jahr eine besondere Bedeutung zu", sagt WSI-Tarifexperte Bispinck. "Die Tarifpolitik hat deswegen nicht nur eine verteilungspolitische, sondern auch eine große konjunkturpolitische Verantwortung."