9,22 Euro in Frankreich, 8,88 Euro in den Niederlanden - zum 1. Januar 2012 haben neun EU-Länder ihre gesetzlichen Mindestlöhne erhöht. Großbritannien, Bulgarien und Luxemburg hatten schon im vergangenen Herbst aufgeschlagen. Im Großherzogtum gilt der höchste Mindestlohn in der EU, dort haben Beschäftigte nun einen Anspruch auf mindestens 10,41 Euro brutto pro Stunde. Gleichwohl hat die Krise in der Eurozone den Anstieg der Mindestlöhne stark gebremst. "Obwohl zwischen der aktuellen Verschuldungsproblematik und der Entwicklung der Mindestlöhne kein direkter ökonomischer Zusammenhang besteht, wird unter dem Druck der EU eine restriktive Mindestlohnpolitik mittlerweile als fester Bestandteil der derzeit vorherrschenden Austeritätspolitik gesehen", konstatiert WSI-Experte Dr. Thorsten Schulten.

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Wo es Erhöhungen gab, fielen sie meist geringer aus als in den Vorjahren. Da gleichzeitig auch noch die Inflation höher lag, waren die realen Zuwächse bestenfalls bescheiden. In mehreren Ländern zehrte die Teuerung die Anhebung sogar auf. Das geschah nach Schultens Auswertung beispielsweise in den Niederlanden, Belgien oder Großbritannien. Einige Staaten, etwa Spanien, Portugal oder Tschechien, haben ihre Lohnminima eingefroren. In Irland wurde der Mindestlohn im Februar 2011 zunächst um einen Euro gesenkt, nach dem Regierungswechsel im Sommer dann wieder auf den alten Stand von 8,65 Euro angehoben. Die griechische Regierung hat auf internationalen Druck eine Kürzung um mehr als 20 Prozent auf 3,39 Euro ab dem 1. März beschlossen. Es gab allerdings auch Ausnahmen, zeigt Schulten: Ungarn erhöhte seinen Mindestlohn real um gut 15 Prozent. In Polen und Bulgarien stiegen die Lohnminima inflationsbereinigt um vier und um acht Prozent. Auch einige Länder außerhalb der EU hoben ihre Mindestlöhne spürbar an, darunter Argentinien, Brasilien und die Türkei.

In den westeuropäischen Euro-Ländern betragen die niedrigsten erlaubten Stundenlöhne nun zwischen 8,65 Euro und 10,41 Euro brutto. In Großbritannien müssen umgerechnet mindestens 7,01 Euro gezahlt werden. Dieser Wert ist jedoch von der anhaltenden Schwäche des Pfunds beeinflusst, das seit 2007 gegenüber dem Euro um fast 30 Prozent abgewertet wurde. Sonst "würde der britische Mindeststundenlohn heute bei 8,88 Euro liegen", erklärt Schulten.

Die südeuropäischen EU-Staaten haben Lohnuntergrenzen zwischen knapp drei Euro in Portugal und 3,96 Euro auf Malta. Etwas darüber liegt mit 4,42 Euro Slowenien. In den meisten anderen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne noch deutlich niedriger. Allerdings haben viele während des vergangenen Jahrzehnts aufgeholt. Zudem spiegeln die Niveauunterschiede zum Teil auch unterschiedliche Lebenshaltungskosten wider. Legt man Kaufkraftparitäten zugrunde, reduziert sich das Verhältnis zwischen dem niedrigsten und dem höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU von 1:14 auf etwa 1:6.

Außerhalb der EU verfügen nach Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 80 weitere Staaten über eine allgemeine Untergrenze für Löhne. Exemplarisch betrachtet das WSI die Mindestlöhne in zehn Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, Australien, die Türkei, Japan und Brasilien. Sie reichen von umgerechnet 1,41 Euro in Brasilien, rund zwei Euro in der Türkei und Argentinien über 6,64 Euro in Japan bis zu 11,50 Euro in Australien. Dieser hohe Euro-Wert beruht allerdings zum Teil auf der Stärke des Australischen Dollars.

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In den Euro-Krisenstaaten werden die Lohnuntergrenzen unter Druck bleiben, prognostiziert WSI-Forscher Schulten. Der gehe vor allem von den Auflagen aus, die EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) den Regierungen machen. So habe sich der Währungsfonds in Portugal ein "faktisches Vetorecht" gegen Erhöhungen des Mindestlohnes einräumen lassen. In Spanien kündigte die Regierung ein Abkommen mit den Gewerkschaften, das eine längerfristige strukturelle Erhöhung des Mindestlohns vorgesehen hatte. Angesichts der drastischen Nachfrageeinbrüche und der Wachstumsschwäche im Euro-Raum sei das eine gefährliche Tendenz, warnt der Wissenschaftler: Mit der verbreiteten "Kombination aus rigider Sparpolitik und restriktiver (Mindest-)Lohnpolitik" würden "die Potentiale zur Entwicklung der Binnenwirtschaft systematisch abgewürgt", schreibt Schulten.