Es gibt nicht eine muslimische Lebenswelt in Deutschland, sondern zahlreiche ambivalente. Ebenso sind die Beziehungen zwischen der deutschen, nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft und den in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen vielschichtig. Diese Ambivalenzen sind in einem Projekt zwischen Februar 2009 und Juni 2011 untersucht worden, das im Auftrag des Bundesministeriums des Innern von Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Jacobs University Bremen, der Johannes Kepler Universität Linz sowie der Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung Weimar aproxima realisiert wurde. Im Zentrum der Untersuchungen standen Fragen nach der Integrationsbereitschaft und nach dem Ausmaß und den Ursachen radikaler Einstellungen und Verhaltensweisen junger Muslime in Deutschland.

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Distanzierung vom islamistischen Terrorismus

In Interviews mit muslimischen Vertretern aus drei Generationen zeigte sich einerseits, dass sich die Interviewten – unabhängig vom Grad ihrer Religiosität und der Integration in die deutsche Gesellschaft – deutlich vom islamistischen Terrorismus distanzieren. Andererseits nehmen sie „den Westen“ wegen seines Umgangs mit der islamischen Welt und den islamistischen Terrorbedrohungen überwiegend negativ wahr. „Sowohl international, also auch in Bezug auf Deutschland erleben die Teilnehmer eine Pauschalverurteilung der Muslime als Terroristen und eine vorschnelle Verknüpfung des Islams mit dem Terrorismus“, sagt der Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang Frindte von der Universität Jena. „Deutlich wurde in den Interviews der Wunsch, neben einer Integration in die deutsche Gesellschaft eine muslimische Identität leben und gestalten zu dürfen“, so der Kommunikationspsychologe weiter.

Im Rahmen von telefonischen Panelbefragungen analysierten die Forscher in einem zweiten Projektteil die Einstellungen von 700 deutsch-, arabisch und türkischsprachigen muslimischen Immigranten im Alter zwischen 14 und 32 Jahren zu Integrations- und Radikalisierungstendenzen. Die Ergebnisse dieser Panelbefragungen wurden mit den Befunden einer parallel durchgeführten repräsentativen Panelstudie mit deutschen Nichtmuslimen im gleichen Alter verglichen.

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Mehrzahl der Muslime will sich integrieren

Die Mehrzahl der befragten deutschen und nichtdeutschen Muslime ist bestrebt, sich zu integrieren, wobei bei Muslimen mit deutscher Staatsangehörigkeit diese Tendenz am stärksten ausgeprägt ist. „Sie wünschen sich, ihre traditionelle Herkunftskultur zu bewahren und gleichzeitig die deutsche Mehrheitskultur zu übernehmen“, erklärt Frindte. Rund 78 Prozent der deutschen Muslime befürworten Integration mehr oder weniger und nur 22 Prozent nehmen eine eher die eigene Herkunftskultur betonende Haltung ein. In der Gruppe der nichtdeutschen Muslime finden sich ca. 52 Prozent, die Integration mehr oder weniger befürworten, aber auch 48 Prozent mit einer Betonung der Herkunftskultur. „Das bedeutet zunächst einmal, dass sich diese 48 Prozent mit ihrer Herkunftskultur stärker verbunden fühlen als mit der deutschen Kultur“, erläutert Frindte…weiter auf Seite 2

"Man ist so durcheinander zwischen den Welten"

Im Vergleich zu deutschen Nichtmuslimen finden sich bei den befragten Muslimen im Durchschnitt stärkere Vorurteile gegenüber westlichen Akteuren (USA, Israel), stärker ausgeprägte religiös-fundamentalistische Einstellungen, stärker negative Emotionen gegenüber dem Westen, eine größere Distanz zur Demokratie und eine tendenziell höhere Akzeptanz von – Zitat aus einem Fragebogen – „Gewalt als Mittel zur Verteidigung der islamischen Welt gegen die Bedrohung durch den Westen“. Dabei geht es ausdrücklich nicht um eine persönliche Gewaltbereitschaft. Im Gegenteil: Fast alle muslimischen Teilnehmer stimmten in der Umfrage beispielsweise der Aussage zu, dass kein Mensch berechtigt ist, im Namen seiner Religion zu töten.

Außerdem lässt sich eine Untergruppe identifizieren, die als „streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ bezeichnet werden kann. Diese Untergruppe umfasst in der Teilstichprobe der deutschen Muslime ca. 15 Prozent und in der Gruppe der nichtdeutschen Muslime ca. 24 Prozent. Mögliche Ursachen für diese potenziellen Radikalisierungstendenzen liegen vor allem im Ausmaß der „traditionellen Religiosität“, der „autoritären Einstellungen“, der Orientierung an „Macht“ und „Erfolg“ sowie der Wahrnehmung oder dem Erleben von „gruppenbezogener Diskriminierung“. „Das heißt auch, dass ein Teil der jungen Muslime eine geringe Integrationsbereitschaft aufweist, weil sie sich als Gruppe hochgradig diskriminiert fühlen“, sagt Frindte.

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Einseitige Berichterstattung der Medien

Ein weiterer Forschungsschritt konzentrierte sich auf die Analyse von 6.725 Postings aus spezifischen Internetforen und deren Einfluss auf Integrations- oder Radikalisierungsprozesse. Auch diese Analysen zeigen, dass es innerhalb der Muslime in Deutschland viele verschiedene Milieus und Gruppierungen gibt, die vor unterschiedlichen Problemen und Herausforderungen stehen. In diesem Projektteil bestätigte sich ebenfalls, dass sich eine große Zahl von Muslimen aufgrund des negativen Bildes „der Deutschen“ vom Islam und der als einseitig negativ empfundenen Medienberichterstattung über den Islam ausgegrenzt sieht und als Gruppe diskriminiert fühlt. Diese eigentlich integrationsbereiten Menschen stehen vor der Herausforderung, trotz dieser wahrgenommenen ablehnenden Haltung der Deutschen ein positives soziales Selbstverständnis z. B. als „Deutschtürken" oder „deutsche Muslime“ zu entwickeln und aufrechtzuerhalten.

Für eine eher kleine Gruppe streng religiöser und fundamentalistisch religiöser Muslime stellt sich indes dieses Problem nicht, da für diese Gruppe nur die eigene religiöse Identität als „wahre“ Muslime zählt. Durch die strikte Befolgung der religiösen Vorschriften grenzen sich diese Muslime einerseits bewusst von der deutschen Mehrheitsgesellschaft ab. Andererseits lehnen aber auch die meisten dieser kleinen Gruppe religiös-fundamentalistischer Muslime religiös motivierte Gewalt entschieden ab und wollen mit den „wahnsinnigen“ und „kriminellen“ Terroristen nichts zu tun haben.

Da auch die „klassischen“ Verbreitungsmedien, wie das Fernsehen, nach wie vor die Integrationsbereitschaft junger Muslime im Positiven wie im Negativen zu beeinflussen vermögen, wurde in einem letzten Forschungsschritt die Darstellung von Muslimen und Nichtmuslimen in der deutschen, türkischen und arabischen Berichterstattung ausgewählter Fernsehsender untersucht. Dafür wurden insgesamt 692 Nachrichtensendungen (von ARD, ZDF, RTL, Sat.1, den türkischen Sendern TRT Türk und Kanal D sowie den arabischen Sendern Al Jazeera und Al Arabiya) gezielt analysiert.

Die Auswertung dieser Fernsehnachrichten machte deutlich, dass und wie Integrations- und Radikalisierungsprozesse durch mediale Einflüsse gefördert oder verhindert werden können. In den untersuchten Beiträgen sticht insbesondere der türkische Privatsender Kanal D durch eine sehr emotionale Berichterstattung hervor. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender spielen im Kontext der Integrationsdebatten hingegen eine durchaus positive Rolle. Die Familieninterviews und Gruppendiskussionen zeigten aber, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen die muslimische Bevölkerung Deutschlands kaum erreicht.

Appell des Wissenschaftlerteams

„Die Ergebnisse der Studie bestätigen insgesamt, dass es nach wie vor notwendig ist, gesellschaftliche Initiativen und Maßnahmen zu realisieren, die den Aufbau einer positiven bikulturellen Identität der Muslime erleichtern“, bilanzieren die Forscher. Auf diese Weise würde islamistischen Radikalisierungsprozessen vorgebeugt und Integrationsprozesse würden befördert. Und den Muslimen ginge es nicht mehr so, wie einer im Interview aussagte: „Man ist so durcheinander zwischen den Welten“. „Muslimische Zuwanderer in Deutschland sollen und wollen die deutsche Lebenswelt mit ihren Gesetzen, Formen des Zusammenlebens, ihrer Sprache sowie ihren Normen des alltäglichen mitmenschlichen Umgangs annehmen. Allerdings muss ihnen auch die Freiheit zugestanden werden, die deutsche Lebenswelt mit der Lebenswelt ihrer Herkunftskultur zu verknüpfen. Letztendlich ist diese Integration ein wechselseitiger Prozess, der nur bei gemeinsamem Engagement sowohl der Migranten als auch der deutschen Mehrheitsbevölkerung gelingen kann“, appellieren die Wissenschaftler an alle Seiten.

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Die Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ ist über den Publikationenvertrieb der Bundesregierung zu erhalten.

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