Aufwendige Neukalkulation mit weitreichenden Folgen
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom vergangenen Jahr, nach der ab dem 21. Dezember 2012 in den Mitgliedsstaaten der EU die Unisex-Regel für alle relevanten Versicherungsverträge ohne jede Einschränkung umzusetzen ist, hat insbesondere in der privaten Krankenversicherung beträchtliche Auswirkungen – sowohl für die Versicherungsunternehmen als auch für deren neue Kunden.
Derzeit wird die private Krankenversicherung auf der Basis der drei Rechnungsgrundlagen Kopfschaden, Sterblichkeit und Storno geschlechtsabhängig kalkuliert. Wichtigste Rechnungsgrundlage ist der Kopfschaden, der bei jungen Männern niedriger ist als bei Frauen, bei älteren Männern hingegen liegt er höher als bei Frauen. In der Folge sind die heutigen Neuzugangsbeiträge bei Männern bis Mitte 50 Jahre günstiger, später entsprechend höher als bei Frauen.
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Eine Unisex-Kalkulation für neue Verträge führt bei jungen Frauen zu deutlich niedrigeren, bei jungen Männern zu höheren Neuzugangsprämien als bisher. Damit wären die Neuzugangsprämien für junge Frauen niedriger als für gleichaltrige Frauen im Bestand. Dies ist nach § 12 Abs. 4 Satz 2 VAG verboten. Diese Regelung des VAG muss daher für die Unisex-Kalkulation aufgehoben werden. Nach § 204 VVG wiederum kann jeder Versicherungsnehmer verlangen, in einen gleichartigen Tarif umzustellen. Das würden die jungen Frauen (und einige der alten Männer) tun. In der Folge käme es zu Unterkalkulationen, Beitragsanpassungen und Bestandswechseln (Jo-Jo-Effekt). Der Verantwortliche Aktuar steht deshalb bei der Erstkalkulation der Unisex-Tarife in der privaten Krankenversicherung vor einer besonderen Herausforderung.
Um den „Jo-Jo-Effekt“ bei den Beiträgen zu vermeiden, hat die Deutsche Aktuarvereinigung mit Unterstützung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) einen Fachgrundsatz zur Erstkalkulation der Unisex-Beiträge erarbeitet. Dabei werden ausgehend von einem minimalen Ansatz, der der heutigen Geschlechterverteilung entspricht, Wechselströme simuliert, die den „Jo-Jo-Effekt“ antizipieren.
Die so gewonnenen Ergebnisse oszillieren in der Regel zwischen einem höheren und einem niedrigeren Beitragsniveau. Der Aktuar wird dann das sichere, das heißt „höhere Niveau“ ansetzen.
Aus heutiger Sicht sind bei der Krankheitskostenvollversicherung für Beihilfe-berechtigte in der neuen Unisex-Welt keine erheblichen Veränderungen zu erwarten. Große Auswirkungen dürften sich allerdings bei Arbeitnehmern und Selbstständigen ergeben: Derzeit wählen weitaus mehr Männer als Frauen eine private Krankheitskostenvollversicherung; branchenweit beträgt das Verhältnis etwa drei zu eins. Dagegen liegt das Geschlechterverhältnis bei den freiwilligen PKV-Mitgliedern in dem neuzugangsrelevanten Alter etwa bei zwei zu eins. Dies legt nahe, dass die bisherigen Bisex-Prämien auf den Zugang der Geschlechter einen erheblichen Einfluss haben, der nun in der Unisex-Welt entfallen wird.
Die schwierige Prognose der künftigen Geschlechterverteilung wird nur eine Aufgabe bei der Kalkulation von Unisex-Prämien sein. Sie wird jedoch weit reichende Folgen haben: Sehr vorsichtige Annahmen begrenzen zwar durch hohe Prämien das Verlustrisiko und vermindern wahrscheinlich auch die Tarifwechsel aus der Bisex-Welt, schränken auf der anderen Seite jedoch die Wettbewerbsfähigkeit der so kalkulierten Produkte stark ein. Dagegen bergen attraktive Prämien das Risiko von Schadenunterdeckungen und in der Folge überproportional hohen Prämienanpassungen.
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Die Unisex-Kalkulation in der PKV soll nur für neue Verträge gelten. Es stellt sich somit die Frage der eindeutigen rechtlichen Abgrenzung zwischen Alt- und Neuverträgen. Hier gibt es eine Reihe schwieriger noch zu klärender Rechtsfragen.