Wie Transparency International in einer heutigen Pressemitteilung berichtet, hat das Verwaltungsgericht Berlin einer Klage der Antikorruptionsorganisation zu den bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gesammelten Anwendungsbeobachtungen stattgegeben (Aktenzeichen 2 K 177.11). Damit könnten schon bald Informationen der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden, die bisher unter Verschluss gehalten wurden. Dies betrifft unter anderem Aussagen, welche Medikamente von niedergelassenen Ärzten verschrieben werden, die Anzahl der betroffenen Patienten, die Anzahl der verschreibenden Ärzte sowie die Höhe der Honorare, die Pharma-Firmen für die Verschreibung von Arznei an Mediziner zahlen. Eine Urteilsbegründung des Gerichtes liegt zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.

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Anwendungsbeobachtungen: Marketinginstrument der Pharma-Branche?

Als Anwendungsbeobachtungen (AWB) bezeichnet man Studien, bei denen Pharma-Firmen niedergelassene Ärzte beauftragen, Daten über bereits zugelassene oder registrierte Arzneimittel zu sammeln. Dafür erhalten die Ärzte ein Honorar von den Arzneimittelherstellern ausgezahlt. Kritiker bemängeln seit längerem, dass es sich bei diesen Studien oft um reine PR-Aktionen der Hersteller handelt: Ärzte werden dafür entlohnt, dass sie eine bestimmte Pille verschreiben, die Konkurrenzprodukte hingegen nicht. Zudem wird bemängelt, dass die Ergebnisse der Untersuchungen oftmals nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind. Demgegenüber betonen Befürworter, dass Medikamente auch in der praktischen Anwendung zwischen Ärzten und Patienten erprobt werden müssen – Klinische Studien können darüber oftmals keine Auskunft geben.

Keine Gnade finden die Tests jedoch bei den Korruptions-Wächtern. „Für uns sind Anwendungsbeobachtungen eine Form legalisierter Korruption“, sagt Angela Spelsberg, Vorstandsmitglied von Transparency Deutschland. Die Organisation bemüht sich seit längerem um Einsicht in die Unterlagen und beruft sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz. Gesammelt werden alle relevanten Daten bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie beim Spitzenverband der Krankenkassen (GKV).

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung steht diesen Studien durchaus kritisch gegenüber, sofern sie als Marketinginstrumente missbraucht werden können. Besonders stört die KBV, dass Pharmafirmen über Anwendungsbeobachtungen Analogpräparate auf den Markt drücken, obwohl es bereits etablierte Arzneien mit ähnlichen Wirkstoffen gibt. Mitunter würde es sich bei den angemeldeten Medikamenten um Präparate handeln, die bereits seit 20 Jahren und länger auf dem Markt sind. Nun werden diese Arzneien unter neuem Namen beworben – deutlich teurer, aber mit fehlender oder nur marginaler therapeutischer Verbesserung.

Datenschutzrechtliche Bedenken gegen Veröffentlichung

Mehr Transparenz wäre also dringend geboten. Aber bislang durften die Daten auch auf Anfrage nicht herausgegeben werden. Die Pharma-Industrie hatte die Veröffentlichung der Daten verhindern können, indem sie sich auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis berief. „Wir konnten die Einsprüche von Unternehmen nicht ignorieren“, sagte KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl gegenüber der Ärzte-Zeitung. Auch berief sich der KBV auf den hohen Verwaltungsaufwand, den eine Bereitstellung der Daten mit sich bringen würde. Stahl begrüßte es, dass nun endlich Rechtsklarheit herrsche – Und das Gericht deutlich machte, dass der Informationsfreiheit Vorschub zu leisten sei.

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Datenschutzrechtliche Bedenken gegen eine Offenlegung der Informationen wollte Transparency International nicht gelten lassen. Die Antikorruptionsorganisation bekräftigte, dass man keineswegs einzelne Ärzte an den Pranger stellen wolle. „Uns geht es darum, das Ausmaß der Anwendungsbeobachtungen erkennbar und erklärbar zu machen“, sagte Dieter Hüsgen, Leiter der Arbeitsgruppe Informationsfreiheit, gegenüber der Ärzte-Zeitung. Im Vorfeld hatte Transparency International geschätzt, dass die Krankenkassen jährlich eine Milliarde Euro Mehrausgaben aufgrund der Anwendungsbeobachtungen haben.