Wenn Ärzte Medikamente verschreiben, dann entscheiden sie auch danach, ob sie einen Mann oder eine Frau vor sich haben. Frauen bekommen zwei bis dreimal mehr Psychopharmaka und Schlafmittel verschrieben als Männer – Dies zeigt der aktuelle Arzneimittelreport der Barmer GEK, der sich schwerpunktmäßig Geschlechtsunterschieden bei der Medikamentenvergabe widmet. Alarmierend bewerten die Forscher hierbei, dass es kaum eine medizinische Rechtfertigung dafür gibt. „Solche geschlechtsspezifischen Differenzen sind medizinisch kaum begründbar, widersprechen den Leitlinien und bergen ein hohes Abhängigkeitsrisiko“, heißt es im Arzneimittelreport.

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Rosa Pillen, blaue Pillen?

Frauen, so der Report, erhalten allgemein mehr Arzneimittel als Männer. Auf 100 Frauen entfielen durchschnittlich 937 Rezepte im Jahr, auf 100 Männer je 763 Rezepte. Damit nehmen Frauen zu 22,3 Prozent häufiger ein Medikament mit nach Hause als männliche Patienten.

Wirklich signifikant sind die Geschlechtsunterschiede bei den Antidepressiva und Hypnotika. „In diesen Bereichen bekommen Frauen zwei-bis dreimal mehr Arzneimittel verordnet als Männer“, berichten die Verfasser der Studie. Gerade diese Medikamente stehen jedoch in Verdacht, langfristig abhängig zu machen. Von den 1,2 Millionen Menschen, bei denen der Konsum von Psychopharmaka bereits zu einer Sucht führte, sind demnach rund zwei Drittel ältere Frauen.

Medizinische Gründe lassen sich kaum finden, warum Patientinnen einen Mehrbedarf an Psychopharmaka haben sollten. Zwar würden Frauen bei psychische Problemen eher einen Arzt aufsuchen. Vor allem aber seien stereotype Rollenbilder für die geschlechtsspezifische Verschreibungspraxis verantwortlich. "Frauen werden eher mit psychisch bedingten Erkrankungen assoziiert, Männer mit somatisch bedingten Erkrankungen", heißt es in der Studie. In diesem Denken spiegelt sich das Vorurteil wieder, dass Frauen emotionaler veranlagt sind als Männer.

Geschlechtsspezifische Arzneimittelforschung intensivieren

Es gibt jedoch einen weiteren Grund, warum Frauen eher zur Arzneimittelsucht neigen als männliche Patienten. Medikamente schlagen bei ihnen oftmals eher an, auch die Nebenwirkungen sind unter Umständen stärker. Ein höherer Körperfettanteil, weniger Gewicht, eine andere Hormonproduktion – all das trägt dazu bei, dass Pille nicht gleich Pille ist.

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Deshalb fordert Studienautor Professor Dr. Gerd Glaeske eine Intensivierung der Forschung, wie sich Medikamente geschlechtsspezifisch auswirken. "Wir brauchen eine Negativliste, welche Ärzte verlässlich über Wirkstoffe informiert, die bei Frauen gefährliche Effekte auslösen können", sagt Glaeseke. Bei der Zulassung neuer Pharmaka wird das Geschlecht der Patienten bisher kaum berücksichtigt.