Privatkunden von Versicherungen sind unzufrieden und wechselwillig
Das Beratungsunternehmen Bain & Company hat seine aktuelle Studie „Was Versicherungskunden wirklich wollen“ vorgelegt. Und diese Studie deckt weit verbreitete Unzufriedenheit und Wechselbereitschaft auf.
- Privatkunden von Versicherungen sind unzufrieden und wechselwillig
- Unzufriedene Versicherungskunden sind kein Naturgesetz
- Fünf Erfolgsfaktoren: Was die Versicherer jetzt ändern müssen
Die Beitragseinnahmen der Versicherungsgesellschaften stagnieren oder gehen sogar zurück, der Wettbewerbsdruck in allen Sparten steigt und die Regulierungsdichte wächst: Deutschlands Versicherer bewegen sich aktuell in einem schwierigen Marktumfeld und müssen - auch mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung der Branche - einen weitreichenden Umbau ihrer Geschäftsmodelle bewältigen. Angesichts dieser Herausforderungen laufen viele Anbieter Gefahr, ihr wichtigstes Kapital aus den Augen zu verlieren: ihre Kunden.
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In der Folge steigt die Unzufriedenheit und Wechselbereitschaft bei den Kunden, wie die aktuelle Bain-Befragung von mehr als 2.500 Kunden aller großen deutschen Versicherer belegt. Bain & Company misst die Kundenzufriedenheit seit mehr als zehn Jahren mit dem Net Promoter® Score (NPS). Diese Kennzahl ergibt sich aus den Antworten auf eine einzige Frage: "Auf einer Skala von null bis zehn, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie diese Versicherung einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen?" Die Antworten werden drei Kategorien zugeordnet. Dabei hat sich gezeigt, dass nur Werte von neun oder zehn für wirklich begeisterte Kunden stehen ("Promotoren"), sieben und acht eher "passiv Zufriedene" sind und Bewertungen von sechs oder weniger als "Kritiker" eingestuft werden müssen. Minuswerte bedeuten, dass es weit mehr Kritiker als Anhänger gibt. Ein hoher NPS-Wert, insbesondere im Vergleich zum Wettbewerb, besitzt eine enorme wirtschaftliche Bedeutung.
Für die Versicherungsbranche liegt der NPS aktuell bei minus 8 Prozent. Noch schlechter als die Versicherer schneiden nur die Banken, mit einem NPS von minus 13 Prozent, ab. Andere Branchen stehen in den Augen der Kunden erheblich besser dar: So liegt der NPS in der Automobilindustrie bei plus 23 Prozent und bei Computerherstellern bei plus 15 Prozent. Der Blick auf die Versicherungsbranche zeigt, dass eine tiefe Kluft zwischen den Unternehmen und ihren Kunden besteht. Ähnlich wie im Bankensektor verkennen die Versicherer die wahren Bedürfnisse ihrer Kunden. Dr. Henrik Naujoks, Autor der Studie und Partner bei Bain & Company in Düsseldorf sagt: "Kundeninteraktion, Kundenloyalität und Ertragspotenzial von Versicherungsunternehmen hängen eng zusammen. Unsere Studie zeigt, dass treue Bestandskunden die wichtigsten Ertragstreiber sind, denn sie kaufen mehr Produkte, lassen Verträge länger laufen und bringen daher erheblich höhere Prämieneinnahmen."
Unzufriedene Versicherungskunden sind kein Naturgesetz
Eine detaillierte Analyse der Studienergebnisse zeigt, dass es auch in der Versicherungsbranche gelingen kann, Kunden zu begeistern. Insbesondere Direktversicherern, mit ihrer klaren und nachvollziehbaren Positionierung, gelingt es vergleichsweise gut, die Kundenerwartungen zu erfüllen. Während ihr NPS im Durchschnitt bei plus 6 Prozent liegt, haben die öffentlichen Versicherer mit einem NPS von minus 8 Prozent, die Versicherungsvereine mit einem NPS von minus 9 Prozent und die großen Aktiengesellschaften mit einem NPS von minus 11 Prozent das Nachsehen. Die traditionellen Anbieter können vor allem dann überzeugen, wenn sie mehrere Policen eines Kunden auf sich vereinen; die NPS-Werte für Hauptversicherer liegen zum Teil deutlich über denen für Nebenversicherer.
Zudem äußern sich die Befragten, die erst vor kurzem Kontakt mit ihrem Anbieter hatten, erheblich positiver als andere. Dies gilt für jede Interaktion mit einer Versicherung - vom Vertragsabschluss über eine Schadenmeldung bis hin zur Adressänderung. Lag die letzte Interaktion länger als zwei Jahre zurück, ergibt sich ein NPS von minus 33 Prozent; demgegenüber erreicht der Wert bei einem Kontakt in den vergangenen drei Monaten plus 12 Prozent. Dr. Dirk Lubig, Co-Autor der Studie und Partner bei Bain & Company in München sieht hier einen einfachen Hebel zur Steigerung der Kundenloyalität: "Bis heute ist es die Ausnahme, dass ein Kunde wenigstens einmal pro Jahr von seinem Vermittler kontaktiert wird. Intern fehlen häufig noch ganzheitliche Ansätze und Prozesse, sowie ein entsprechendes Monitoring. Dabei stärkt selbst ein kurzer Kontakt nicht nur die Bindung und damit die Loyalität, sondern bietet vielmehr eine ideale Möglichkeit, über neue Produkte oder Veränderungen bei bestehenden Verträgen zu sprechen."
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Die messbare Unzufriedenheit hat erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen: Denn Promotoren erwerben der Bain-Studie zufolge fast 70 Prozent mehr Produkte, bleiben ihrer Versicherung im Durchschnitt eineinhalb Jahre länger treu und empfehlen sie mehr als doppelt so oft weiter wie Kritiker. Im Ergebnis liegen die Prämieneinnahmen bei einem loyalen Kunden fast doppelt so hoch wie bei einem Kritiker.
Der falsch geeichte Kompass: Versicherer schätzen Kundenerwartungen falsch ein
Um dieses noch ungenutzte Ertragspotenzial zu realisieren, müssen die Versicherer die Lücke zwischen den Bedürfnissen der Kunden und dem tatsächlichen Angebot schließen. Viele Versicherte haben ihren Kundenkompass in den vergangenen Jahren auf Basis falscher Hypothesen geeicht und in der Folge die Befriedigung grundlegender Kundenbedürfnisse vernachlässigt. Die Bain-Studie fand heraus, dass der wichtigste Loyalitätstreiber die vom Kunden empfundene Fairness und Sicherheit seines Versicherers ist. Auf Platz zwei rangiert die Beratung und Erfüllung seiner individuellen Bedürfnisse. Erst an dritter Stelle steht das Thema Preise, gefolgt von der Transparenz der Produkte und dem Service. Viele Anbieter haben sich dagegen einseitig auf günstige Tarife und schlanke Strukturen fokussiert.
Dieser "falsch geeichte Kompass" führt dazu, dass die Erwartungen der Kunden unerfüllt bleiben und in der Folge Unzufriedenheit und Wechselwilligkeit wachsen. Bei Anbietern, die diese wahren Kundenbedürfnisse nicht erfüllen, dürfte eine Abstimmung mit den Füßen folgen: Knapp 40 Prozent der Versicherten erklärten, dass sie wechselwillig seien. Vor diesem Hintergrund sagt Versicherungsexperte Henrik Naujoks: "Ähnlich wie bei den Banken ist auch bei den Versicherungen eine Rückkehr zu alten Tugenden und damit traditionellen Werten überfällig. Um die Loyalität ihrer Bestandskunden zu stärken und sie von einem Wechsel abzuhalten, müssen die Versicherer stärker auf Fairness und empathischen Service sowie individuelle Betreuung setzen."
Gleiche Kundenbedürfnisse aber neue Verhaltensmuster: Die Digitalisierung in der Versicherungsbranche ist unausweichlich Die Rückbesinnung auf alte Tugenden ist unerlässlich, auch wenn sich die Versicherungsunternehmen gleichzeitig einem tiefgreifenden Wandel im Kundenverhalten gegenübersehen. Im Rahmen der Bain-Studie erklären rund 60 Prozent der Kunden, dass das Internet für sie künftig der wichtigste Kanal bei einer Interaktion sei. Das gilt für die Information ebenso wie für den Abschluss, die Schadenmeldung und die Verwaltung persönlicher Daten. Das Vordringen digitaler Plattformen reduziert aber keineswegs das Bedürfnis nach individueller Betreuung, denn fast drei Viertel der befragten Versicherungskunden halten die persönliche Betreuung nach wie vor für wichtig, oder sogar sehr wichtig.
Für die Versicherer haben diese Umfrageergebnisse weitreichende Konsequenzen. Henrik Naujoks erklärt: "Noch sehen viele Anbieter das Internet - neben dem Ausschließlichkeitsvertrieb, Maklern und Banken - als einen weiteren Vertriebskanal. Doch die Kunden differenzieren nicht mehr länger zwischen den einzelnen Kanälen, sondern erwarten ein einheitliches Angebot und Serviceerlebnis. Die Unternehmen müssen daher mit Hochdruck die noch bestehenden Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt überwinden und eine sogenannte Omni-Channel-Fähigkeit ihres Angebots und ihrer Beratung sicherstellen."
Fünf Erfolgsfaktoren: Was die Versicherer jetzt ändern müssen
Die Bain-Experten identifizieren im Rahmen ihrer Studie fünf Erfolgsfaktoren, mit deren Hilfe die Versicherer die aktuellen Herausforderungen meistern und ihre Kunden wieder stärker an sich binden und begeistern können: Neben einem maximalen Kundenfokus zählen hierzu eine klare Positionierung und Emotionalisierung der Marke, die Integration der Online- und Offline-Welten durch einen konsequenten Omni-Channel-Ansatz, die Stärkung des Ausschließlichkeitsvertriebs und die Mobilisierung sowie Qualifizierung des Innen- und Außendienstes.
Nach Überzeugung von Versicherungsexperte Naujoks bricht in der deutschen Assekuranz eine neue Ära an: "In den vergangenen Jahren haben viele Versicherer ihre Kosten und Strukturen optimiert und dabei häufig ihr wichtigstes Asset, die Kunden, aus den Augen verloren. Jetzt geht es darum, das gesamte Unternehmen wieder an den Bedürfnissen der Versicherten auszurichten, hierbei eine qualitativ hochwertige, individuelle Betreuung in der Fläche zu gewährleisten und zugleich den in allen Branchen spürbaren Wunsch nach einer zügigen Digitalisierung Rechnung zu tragen."
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Über die Studie
Die Grundlage dieser Studie bilden mehr als 2.500 Interviews, die Bain & Company im Frühjahr 2012 mit privaten Kunden der Versicherungen in Deutschland geführt hat. Neben 18 traditionellen Anbietern zählten dazu auch fünf Direktversicherer. Die Befragten bilden einen repräsentativen Schnitt der deutschen Bevölkerung, der sämtliche Alters-, Berufs- und Einkommensgruppen erfasst.
- Privatkunden von Versicherungen sind unzufrieden und wechselwillig
- Unzufriedene Versicherungskunden sind kein Naturgesetz
- Fünf Erfolgsfaktoren: Was die Versicherer jetzt ändern müssen