Patientenvertreter bemängeln Versäumnisse bei der Pflegereform und befürchten Rationierung von Leistungen
Der Bundesrat hat dem Entwurf des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes am 21. September 2012 abschließend zugestimmt. Nun liegt das Gesetz dem Bundespräsidenten zur Unterzeichnung vor. In einer Stellungnahme benennt die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP e.V.) zentrale Versäumnisse. Zwar seien die verbesserten Leistungen für demenzkranke Menschen und die zeitlich begrenzte Förderung alternativer Wohnformen zu begrüßen. Doch noch immer gibt es keinen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff.
Obwohl seit vier Jahren Vorschläge für eine neue Definition des Begriffs der Pflegebedürftigkeit vorliegen, habe auch das Anfang diesen Jahres einberufene Expertengremium zu keinem Ergebnis geführt. Auch die nachhaltige Finanzierung der Pflegereform sei bei weitem nicht gesichert, kritisierte der DGVP. Durch die erweiterte Basis der Leistungsempfänger und den weiteren Anstieg aufgrund der demografischen Entwicklung stehe die Zukunftssicherheit mehr denn je in Frage. Es sei damit zu rechnen, dass Leistungen stärke in Frage gestellt, länger hinausgezögert oder faktisch rationiert werden, hieß es in der Stellungnahme des Vereins.
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Andere Aspekte der Reform seien nicht bis ins Letzte durchdacht. So müssen die Pflegekassen seit Oktober einem Antragsteller eine Pflegeberatung leisten: innerhalb von zwei Wochen sollen sie ihm einen Berater nennen, einen konkreten Termin anbieten oder zumindest einen Gutschein für die Beratung ausstellen. Es sei zu erwarten, dass der Gutschein oft angeboten wird – schlicht aus Zeit- und Kostengründen. Wann die tatsächliche Beratung dann erfolgt, ist dann Vereinbarungssache.
Nach Ansicht der DGVP wird das Pflegeneuausrichtungsgesetz im Hinblick auf die alternative Abrechnungsform von Grundpflegeleistungen durch den ambulanten Pflegedienst ein großes Problem sein: der Pflegebedürftige kann ab dem 01.01.2013 wählen, ob er die Grundpflegeleistungen nach Zeit oder wie bisher in Form von Leistungskomplexen vom Pflegedienst in Anspruch nehmen will. Nach der Zeitabrechnung bestimmt allein der Pflegebedürftige, welche Leistungen vom Pflegedienst erbracht werden sollen und wie viel Zeit dafür zur Verfügung gestellt wird.
In den Anfängen der Pflegeversicherung gab es in bspw. Hessen diese Zeitabrechnung bereits einmal. Die Erfahrungen haben damals aber gezeigt, dass die Pflegebedürftigen bzw. Angehörigen dem Pflegepersonal aus Kostengründen dann nicht mehr die erforderliche Zeit für die notwendige und mittlerweile sehr aufwendige Pflegedokumentation zur Verfügung gestellt haben.
Auch an der Anleitung, Beratung und Durchführung der Prophylaxen wurde gespart. In Manchen Fällen seien die Pflegekräfte eines Pflegedienstes regelrecht gegeneinander ausgespielt wurden. Die Kunden wünschten sich die Pflegekraft, die schlicht schneller – und damit kostengünstiger – war. Aufgrund des damaligen wirtschaftlichen Drucks mussten zahlreiche Pflegedienste aufgeben. Dies sei auch für die Zukunft wieder zu befürchten. Aber auch die Pflegequalität werde deutlich darunter leiden.
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So werden sich auch die Anbieter der ambulanten Pflege zwangsläufig mit den angebotenen Zeiten für die Pflege unterbieten, da durch die Pflege nach Zeitabrechnung ein neues Konkurrenzmittel entsteht. Es wird schneller gearbeitet werden müssen – wodurch die Fehlerhäufigkeit steigen kann. Um Kosten zu sparen, werden wahrscheinlich mehr ungelernte oder angelernte Kräfte für die Pflege eingesetzt werden.