Das „Unwort des Jahres“ ist Deutschlands Negativpreis in Sachen Sprachverfehlungen. Jedes Jahr wählt eine Jury die verletzendsten, diskriminierendsten und menschenverachtendsten Begriffe aus, mit denen Personen des öffentlichen Lebens aufgefallen sind. Das Unwort 2012 ist eine Wortschöpfung des Schweizer Moderatoren Jörg Kachelmann und lautet „Opfer-Abo“. Das teilte die Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich am Dienstag mit.

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Das Wort verstoße gegen die Menschenwürde von Vergewaltigungsopfern

Jörg Kachelmann hatte im Herbst davon gesprochen, dass Frauen in der Gesellschaft ein „Opfer-Abo“ hätten. Damit könnten Frauen ihre Interessen gegenüber Männern mit Falschbeschuldigungen durchzusetzen – auch mit der Erfindung einer Vergewaltigung. „Das ist das Opfer-Abo, das Frauen haben“, sagte Kachelmann in einem Interview mit dem Spiegel. „Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täter wurden. Menschen können aber auch genuin böse sein, auch wenn sie weiblich sind.“

Die Jury kritisierte den Begriff scharf. Er stelle Frauen „pauschal und in inakzeptabler Weise“ unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterin zu sein. Damit disqualifiziere sich die Rede von einem Opfer-Abo als „sachlich grob unangemessen“.

Um ihre Aussage zu stützen, argumentierten die Linguisten auch mit statistischen Zahlen. Nur fünf bis acht Prozent der Frauen, die von sexueller Gewalt betroffen seien, würden überhaupt zur Polizei gehen. In ein Gerichtsverfahren münden sogar nur drei bis vier Prozent aller Fälle. Dies ergab eine Untersuchung des Bundesfamilienministeriums zur Gewalt gegen Frauen in Deutschland. „Das Wort verstößt damit nicht zuletzt auch gegen die Menschenwürde der tatsächlichen Opfer“, so die Jury.

Pleite-Griechen“ und „Lebensleistungs-Rente“ auf den Plätzen 2 und 3

Auf den weiteren Plätzen der Unwort-Liste landeten die Sprachschöpfungen „Pleite-Griechen“ und „Lebensleistungsrente“.

Der Begriff „Pleite-Griechen“ diffamiere ein ganzes Volk in „unangemessener und unqualifizierter Weise“ und damit auch den Teil der in Deutschland lebenden Hellenen, teilten die Sprachforscher mit. Es ist eine Formulierung, die vor allem in den Medien des Springer-Verlages Verwendung fand, speziell in der Bild-Zeitung. Seit dem Ausbruch der Griechenland-Krise in 2010 hat das Blatt eine aggressive Anti-Griechenland-Kampagne betrieben, mit Artikeln wie „BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachme zurück“, „Nehmt den Griechen den Euro weg!“ oder „Kein Geld für die Pleite-Griechen!“ Der Begriff wurde unter anderem von dem BILD-Journalisten Paul Ronzheimer etabliert, der für seine Berichterstattung in 2011 den renommierten Quandt-Medienpreis zugesprochen bekam.

Auch das Bundesarbeitsministerium von Ursula von der Leyen (CDU) findet sich in der Unwort-Liste wieder. Die Jury rügt das Wort „Lebensleistungsrente“ als eine irreführende bis zynische Bezeichnung für ein Gesetzesvorhaben, bei dem Geringverdienern unter restriktiven Bedingungen eine geringfügige Zusatzleistung des Staates versprochen wird. Unter anderem sollen die Arbeitnehmer eine private Riester-Police abschließen, um im Alter Anspruch auf eine Aufstockung der Rente zu haben. „Mit diesem komplexen Wort wird der Bedeutungsgehalt des Wortes „Lebensleistung“ ausgenutzt, um eine für den Einzelnen marginale staatliche Leistung als Maßnahme gegen Altersarmut zu verkaufen“, argumentiert die Jury.

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Die Jury, bestehend aus 4 Sprachwissenschaftlern und einem Linguisten, erhielt in diesem Jahr insgesamt 2241 Einsendungen mit Vorschlägen für das Unwort des Jahres. Die häufigsten Einsendungen waren „Schlecker-Frauen“ (163mal), „Anschlussverwendung“ (125mal), „Moderne Tierhaltung“ (102mal), „Ehrensold“ (88mal) und „Lebensleistungsrente“ (40mal).