Brendan O´Malley staunte nicht schlecht, als er sah, dass sein alter Freund Alex Gomez auf Facebook den amerikanischen Finanzdienstleister Discover geliked hatte. Discover ist der drittgrößte Kreditkartenanbieter in den USA, und normalerweise hasste Gomez derartige Multis. Warum sollte der Freund also den Like-Button drücken? Aber Brendan O´Malley war noch aus einem anderen Grund beunruhigt. Der „Like“ war datiert auf den 01. November 2012 – sein Freund Alex bereits seit sechs Monaten tot.

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Die Geschichte des toten Alex, der noch immer „Likes“ verteilt, ist eine von vielen Seltsamkeiten, über die der Programmierer und Journalist Bernard Meisler berichtet. In einem lesenswerten Beitrag für das Onlinemagazin ReadWrite, veröffentlicht bereits im Dezember 2012, hat Meisler ähnliche Fälle zusammengetragen. Da gibt es jene Vegetarierin, die angeblich den neuesten Fleischburger von McDonalds geliked hat. Da gibt es einen Hochschullehrer, der gar keinen Führerschein besitzt und folglich auch kein Auto, aber „Subaru“ als seine Lieblingsmarke angibt. Und da gibt es jenen Punk und Anarchisten, der angeblich den Ölmulti „Shell“ geliked haben soll und eine teure Uhrenmarke, obwohl er selbst wohl keine Uhr besitzt. Alle diese Menschen bestreiten vehement, die Likes tatsächlich selbst gesetzt zu haben. Und alle diese Fälle werfen kein gutes Licht auf Facebook.

Verkauft Facebook Likes – Ohne die Einwilligung seiner User?

Warum also können tote Menschen bei Facebook Likes vergeben? Eine mögliche Antwort sind die sogenannten „Promotet Posts“, mit denen Facebook seit einigen Monaten Geld verdienen will. Mit einem Klick auf „Beitrag hervorheben“ können User die Reichweite ihrer Facebook-Einträge erhöhen, so dass sie mehr Menschen sehen, drauf klicken und lesen. Kostenlos gibt es diesen Service allerdings nicht. Derzeit muss ein privater Facebook-Nutzer die unchristliche Summe von 6,66 Euro für einen hervorgehobenen Post zahlen.

Zudem macht Facebook mit personalisierter Werbung Geschäfte. Zahlungskräftige Werbekunden können sich sehr genau die Zielgruppe aussuchen, die sie auf Facebook erreichen wollen: nach Region, Geschlecht, Alter, Interessen und Hobbys. Oftmals ist es ein „Like“-Button von Freunden, der einen Nutzer überhaupt erst auf eine bestimmte Marke oder Firma aufmerksam macht – und zugleich Vertrauen suggeriert. Denn was die Facebook-Freunde mögen, kann ja nicht schlecht sein. So ein „Like“-Button ist für Werbekunden also Gold wert.

Verkauft Facebook also die Likes seiner User an die Werbepartner – ohne die Einwilligung der Nutzer einzuholen? Der Verdacht steht zumindest im Raum. Auch Bernard Meisler berichtet von schlechten Erfahrungen mit sogenannten „Sponsored Posts“. Er entschied sich, sein Literaturmagazin „Sensitive Skin“ über ein Facebook-Profil zu promoten. Tatsächlich erhöhte sich die Reichweite, nachdem er Facebook Geld überwiesen hatte, und die Zahl der „Likes“ kletterte innerhalb eines halben Jahres von 800 auf 2000. Doch zugleich stellte Meisler fest, dass immer weniger Menschen „Sensitive Skin“ anklickten. Die Reichweite des Magazins erhöhte sich – aber die Leserzahlen sanken.

Als Meisler misstrauisch wurde und recherchierte, stellte er fest, dass viele der User, die seine Seite geliked hatten, möglicherweise gar nicht an ihr interessiert waren. Die Klicks kamen aus allen Teilen der Welt – aus Südamerika, arabischen Ländern und Osteuropa. Einige jener Facebook-Fans schienen nicht einmal des Englischen mächtig zu sein, obwohl sie ein englischsprachiges Literaturmagazin als ihren Facebook-Favoriten angegeben hatten. Sie kommentierten die Posts in Sprachen, deren Schriftzeichen Meisler nicht entziffern konnte. Meisler schlussfolgerte daraus, dass es sich um „wenig hochwertige“ Likes handeln könnte – die er möglicherweise bei Facebook eingekauft hatte.

Facebook argumentiert: Die Klicks werden versehentlich getätigt

Doch die Erfahrungen mit „Sensitive Skin“ waren nicht die einzigen Merkwürdigkeiten, die Bernard Meisler bei den „Sponsored Posts“ beobachtete. Plötzlich tauchten im Newsfeed Neuigkeiten auf, die seinen Argwohn weiter förderten. Da gab es einen Demokraten, der vor der US-Wahl plötzlich den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney geliked hatte. Da gab es eine konsumkritische Englisch-Lehrerin, die den Einzelhandelsriesen „Wal Mart“ als Favoriten angab. Und so startete Meisler einen Aufruf an seine Facebook-Freunde – ob sie angeblich Likes geklickt haben sollen, von denen sie selbst gar nichts wissen.

Nun erhielt er viele Rückmeldungen von Usern, die tatsächlich Auffälliges in ihrer Timeline bemerkten. Eine Lehrerin soll das Desinfektionsmittel Lysol geliked haben – sie bestreitet es. Ein Graphic Designer hatte Ang Lees Film „Life of Pi“ (Schiffbruch mit Tiger) als Favoriten markiert – obwohl er versichert, den Film nie gesehen und nicht angeklickt zu haben. Eine Frau, die keinen Alkohol trinkt, entdeckte die Biermarke „Budweiser“ unter ihren Lieblingsgetränken. Alle versichern, dass sie nie den Like-Button für diese Produkte betätigten.

Doch ein Pressesprecher von Facebook bestreitet gegenüber ReadWrite, dass Facebook die Likes ohne Einwilligung der User verhökert hat. Es sei möglich, dass die Nutzer aus Versehen Sachen geliked hätten, etwa indem sie unbemerkt einen Knopf ihres Smartphones betätigten. Im Übrigen könne Facebook jederzeit und auf die Minute genau nachweisen, wann ein „Like“-Knopf von einem User gedrückt wurde.

Auch für die bereits verstorbenen Facebook-Nutzer, die ihre Likes quasi aus der Gruft senden, hat der Facebook-Sprecher eine Erklärung. Wenn kein anderer Nutzer an Facebook mitteilt, dass diese Menschen verstorben sind, behandelt sie der Social-Media-Anbieter wie noch lebende Personen. Und da Facebook die Likes auch nach Monaten noch recycelt und aktualisiert, sei es eben möglich, dass die „Gefällt mir“-Klicks von Verstorbenen auch lange nach ihrem Tot auf der Timeline von Freunden erscheinen. Die Verstorbenen hätten die Klicks aber noch zu Lebzeiten getätigt.

Zudem gibt es unseriöse Drittanbieter, die fragwürdige Facebook-Likes verhökern. So werden manche „Gefällt mir“-Angaben schon durch das Klicken auf Bilder ausgelöst, wenn ein Nutzer per Facebook auf fremde Seiten zugreift. Etwa versprach ein Web-Anbieter Nacktfotos der Sängerin und früheren Justin-Bieber-Freundin Selena Gomez. Wer auf das entsprechende Bild klickte, betätigte automatisch den Like-Button, ohne dies selbst zu merken. Facebook versichert, bereits aktiv gegen derart unseriöse „Fake-Likes“ vorzugehen.

Es bleiben viele Fragen

Trotz aller Beteuerungen von Facebook bleiben Zweifel. Es stellt sich erneut die Frage, wie der Social Media-Gigant mit den Nutzerdaten seiner User umgeht – in welchem Umfang es die Möglichkeit zum Missbrauch gibt und ob Facebook die Daten sogar selbst missbraucht. Wenn Nutzer plötzlich Marken liken, die sie ethisch nicht vertreten können, wenn Demokraten plötzlich einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten empfehlen und Vegetarier Fleischprodukte, wenn Pazifisten plötzlich ihr „Like“ auf dem Profil eines Waffenherstellers finden und Antialkoholiker bei einer Biersorte – dann sollten nicht nur bei Datenschützern die Alarmglocken klingeln. Diese Fake-Likes sind geeignet, die Glaubwürdigkeit und Integrität einer Person gegenüber den Freunden und Bekannten zu gefährden. Auch dass Tote weiterhin für Werbezwecke missbraucht werden können, ohne Chance ihre Aussagen selbst zu korrigieren, ist ein Skandal.

Was wir heute sind und wie wir wahrgenommen werden, definiert sich nicht nur im persönlichen Umgang mit anderen Personen – sondern auch in der Art und Weise, wie man sich auf Social-Media-Plattformen wie Facebook präsentiert. Hier ist es das Mindeste, dass die Nutzer eine gewisse Kontrolle über ihre Daten behalten – und ihre Verwendung für Werbezwecke auch verweigern können, wenn dies gegen ihre ethischen Grundsätze verstößt.

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Bernhard Meisler sagt selbst, dass er Facebook nach wie vor gerne nutzt, um mit Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben. Jedoch zitiert er in seinem Beitrag auch eine Bemerkung von Mark Zuckerberg, die zu Denken gibt. Als ein Freund den damals 19jährigen fragte, wie er es geschafft habe, mehr als 4.000 E-Mails, Fotos und Adressen von Harvard-Studenten zu sammeln, soll Zuckerberg geantwortet haben: „Sie vertrauen mir, die Vollidioten!“
Bis heute hat Facebook die Authentizität der Aussage nicht bestritten.