Norbert Blüm steht vor einer Litfasssäule. Er hält einen Kleber in der Hand, neben ihm lehnt eine Leiter. Gleich wird der Bundesarbeits- und Sozialminister auf die Leiter steigen und vor versammelter Presselandschaft ein Plakat anbringen. Darauf steht in großen schwarzen Lettern geschrieben: „Denn eines ist sicher: Die Rente!“

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Im Jahre 1986 hatte die CDU eine der bis dato spektakulärsten Plakataktionen gestartet. Der Slogan von der sicheren Rente prankte auf über 15.000 Plakaten. Er war auf Litfasssäulen zu sehen, in den Wartehäuschen von Bushaltestellen und auf Häuserwänden. Noch immer ist es jener Satz, mit dem man den kleinen quirligen Ex-Minister am häufigsten in Verbindung bringt. Und der ihm viel Spott einbrachte, denn so sicher scheint die Rente nicht zu sein – die Schlagzeilen von der drohenden Altersarmut bestimmen bundesweit die Schlagzeilen. Doch Norbert Blüm ist bereit, seinen damaligen Ausspruch auch heute noch gegen alle Häme zu verteidigen.

Norbert Blüm: „Die Rente wäre sicher gewesen“

In den letzten Tagen wurde auf dem Webportal NGO-Online ein rund 40minütiges Videointerview mit Norbert Blüm veröffentlicht, in dem er sich für eine Stärkung der gesetzlichen Rente ausspricht. Zugleich wirft er der privaten Finanz- und Versicherungsindustrie vor, entscheidenden Einfluss auf die Demontage des Sozialstaates genommen zu haben. „Die Rente wäre sicher gewesen“, so Blüms Credo – wenn, ja wenn kein Systemwechsel hin zu mehr privater Altersvorsorge stattgefunden hätte.

Harte Worte findet Norbert Blüm für die geplante Absenkung des Rentenniveaus auf 43,8 Prozent, die von CDU und SPD befürwortet wird und die Blüm als „Anschlag auf die Rentenversicherung“ bezeichnet. „Bei einem Rentenniveau von 43 Prozent, da sind wir in Nachbarschaft der Sozialhilfe“, kritisiert Blüm. „Und warum soll einer ein Leben lang arbeiten und Beiträge bezahlen, wenn er am Ende im Alter nicht mehr hat, hätte er nicht gearbeitet und wäre gleich zur Sozialhilfe gegangen?“

Privatisierung der Altersvorsorge: Arbeitgeber zahlen weniger in den Rententopf ein

Das Argument, aufgrund der schnellen Alterung der Gesellschaft sei kein Geld in den Rentenkassen und eine umlagefinanzierte Rente auf Dauer nicht funktionsfähig, will Blüm nicht gelten lassen. Schließlich werde derzeit viel Geld für die Privatvorsorge geopfert. „Wir muten ja auch den Versicherten zu, sie sollen 4 Prozent in die Riesterrente zahlen, da ist anscheinend Geld für da. Allerdings nicht bei allen. Und diese 4 Prozent fehlen in der Rentenversicherung. Hätten wir dieses Geld genommen, was für Allianz und Co., für die Privatversicherungen jetzt abgezweigt wird, dann hätten wir allen geholfen, auch denjenigen, die sich gar keine Riesterrente leisten können.“

Doch warum stoßen dann die Rentenkassen an ihre Belastungsgrenzen? Blüm führt dies auch darauf zurück, dass sich die Arbeitgeber immer weniger an der Altersvorsorge beteiligen. Denn den privaten Kapitalstock müssen die Beschäftigten ganz allein schultern, in diesen Topf zahlen die Unternehmer nichts ein. Rechnet man die 4 Prozent vom Bruttolohn hinzu, die ein Arbeitnehmer nun für Riesterprodukte aufwendet, so müsse ein Einzelner mehr für seine Rente zahlen als nach dem alten Rentenversicherungsmodell aus der Ära Kohl. Profiteure von Schröders Reform seien vor allem die Versicherungswirtschaft und die Arbeitgeber.

Der Ex-Arbeitsminister macht keinen Hehl daraus, dass er diese Entwicklung für äußerst unsozial hält. „Wegen Riester wird das Rentenniveau abgesenkt, also auch für diejenigen, die gar keine Riesterrente haben. Also zahlen die Schwachen eine Rechnung für Leistungen, die die Stärkeren bekommen. Das ist Geisterfahrerei.“ Verstärkt werde die Ungerechtigkeit dadurch, dass Riester-Sparer auch noch mit staatlichen Milliardenzuschüssen aus Steuern subventioniert werden – quasi eine Umverteilung von unten nach oben. „Das ist gegen alle Gesetze der Solidarität. (…) Die Schwachen unterstützen die Starken“, argumentiert Blüm.

Steigende Produktivität könnte Alterung der Gesellschaft auffangen

Zumindest lässt Norbert Blüm das Argument gelten, dass es sich bei der Alterung der Bevölkerung um ein Problem für die Sozialkassen handelt. “Richtig ist, wenn die Zahl der Geburten, der Arbeitnehmer und auch die Zahl der Beitragszahler zurück geht, dann müssen die, die geboren werden, mehr Beitrag zahlen. So ist das in jedem System. Das kann privat sein, das kann öffentlich sein, da kann regieren, wer will.“

Aber das Problem lasse sich auffangen, da die Produktivität der Gesellschaft steige – und damit auch der Wohlstand der jungen Beitragszahler. Blüm sagt: „So wird es immer sein, dass die Jungen für die Alten eintreten müssen. Nur ganz so dramatisch ist das für die Jungen nicht, ihr Wohlstand ist nämlich inzwischen höher als das der Alten.“ So hätten seine Eltern zwar anteilig weniger Beitrag in die Rentenversicherung eingezahlt als heutige Generationen – aber trotzdem einen niedrigeren Lebensstandard gehabt, weil die Eltern auch deutlich weniger verdienten. Damit das umlagenfinanzierte System funktioniere, müsse aber die Wirtschaft florieren.

Absage an private Altersvorsorge

Private und kapitalgedeckte Systeme sind jedoch nach Ansicht Norbert Blüms nicht geeignet, das demografische Problem zu lösen. Der CDU-Politiker verweist auf das Scheitern derartiger Modelle weltweit. In Chile sei die Privatversicherung zusammengebrochen – obwohl das Land lange Zeit als Hoffnungsträger der Weltbank galt. Auch in den USA hätten zwei Drittel aller Pensionsfonds mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen. Das Fazit des früheren Finanzministers: „Eine Rentenversicherung, die auf Arbeit aufbaut, ist immer sicherer als eine Altersversicherung, die den Finanzspekulanten, dem Kapital überantwortet worden ist. Und wer das bezweifelt, der muss die letzten acht Jahre irgendwo auf dem Eisberg zugebracht haben.“

Der Grund für Blüms Aversion gegen die private Vorsorge: Hohe Provisionen, Verwaltungskosten und Ausgaben für Werbung würden die Ersparnisse der Kunden auffressen. Während die Verwaltungskosten bei der gesetzlichen Rentenversicherung 1,5 Prozent der Einnahmen betragen, schwanken die Verwaltungs- und Abschlusskosten der Privatversicherer zwischen 15 und 25 Prozent, betont Blüm. Zudem dürfe die Rente der Menschen nicht Spekulationsobjekt an den Börsen sein. Eine klare Absage an die Riestervorsorge – und ein klares Bekenntnis zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Das von der SPD bevorzugte Modell, verstärkt auf Betriebsrenten zu setzen, ist nach Ansicht von Blüm auch keine Lösung für den Aufbau eines Kapitalstocks. "Denn viele haben ja gar keine Betriebsrente: die Leiharbeiter, die befristet Tätigen, die Praktikanten, die in Kleinbetrieben. Betriebsrente haben diejenigen, die in Großbetrieben arbeiten, die in gut laufenden, florierenden Chemiebetrieben, Autoindustrie…Das sind aber nicht die Kandidaten für Armut." Um die Ungleichheiten zwischen Lohnarbeitern auszugleichen, spricht sich Blüm für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Und er wiederholt seinen berühmten Satz: "Die Rente ist sicher" - sofern der "Hilfsmotor" private Altersvorsorge gegen das gute alte Modell getauscht wird.

Norbert Blüm als Kritiker der aktuellen Politik

Norbert Blüm hat sich nach dem Ende seiner Ministertätigkeit als Kritiker der aktuellen Politik hervorgetan und sich dabei auch immer wieder gegen die eigene Partei gestellt. Mit seinen Thesen ist er gerngesehener Gast in Talkshows und Diskussionsrunden. Mehrfach hatte er auch bereits die Privatisierung der Altersvorsorge scharf angegriffen – nicht immer zum Gefallen der eigenen Parteikollegen. Unter anderem spricht er sich für einen Mindestlohn und gegen den Ausbau der Zeitarbeit aus. Mit seinen linksorientierten und zugleich christlichen Ansichten eckt Blüm häufig an. Beim Parteitag der CDU 2003 in Leipzig wurde er von der Bühne gepfiffen. CSU-Urgestein Franz Josef Strauß nannte ihn schon zu Ministerzeiten einen „Herz-Jesu-Marxisten“.

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Auch Norbert Blüms Thesen zur Rentenvorsorge sind unter Experten umstritten. Ihm wird vorgeworfen, dass er die demografische Entwicklung und die daraus entstehenden Kosten für die Rentensysteme unterschätzt und einseitig Stimmung gegen die Privatvorsorge macht. In seiner Zeit als Arbeits- und Sozialminister hatte er 1997 selbst den demographischen Faktor mit eingeführt, der ein langsameres Steigen des Rentenniveaus vorsah und so die Rentenkassen entlasten sollte. Eine Mehrheit finden Blüms Thesen in der aktuellen Parteienlandschaft nicht. Sowohl CDU als auch SPD haben angekündigt, im Falle eines Wahlsieges bei der Bundestagswahl 2013 am Modell der privaten Altersvorsorge festzuhalten.

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