Ohne Job und Krankenversicherung: Todesschütze von Osama Bin Laden droht der soziale Abstieg
Osama Bin Laden war der meistgesuchte Terrorist auf der Welt, auf seinen Kopf eine millionenschwere Prämie ausgesetzt. Doch dem Elitesoldaten, der die Todesschüsse auf den Al-Quaida-Gründer abfeuerte, nützt dies wenig. Der frühere Navy-Seal ist mittlerweile arbeitslos und ohne Krankenversicherung.
Manchmal ist das Leben genauso desillusionierend wie das Kino. In Kathryn Bigelows Thriller „Zero Dark Thirty“, der die Jagd der CIA auf den Top-Terroristen Osama Bin Laden in Pakistan thematisiert, sitzt die Agentin Maya in der letzten Szene des Filmes allein und in Tränen aufgelöst in einem Großraumflugzeug. Osama Bin Laden ist tot und sein Leichnam identifiziert, der Auftrag erledigt. Doch die Frage des Piloten, wohin es nun gehen soll, lässt Maya unbeantwortet. Mit dem Tod des Terroristen hat die Agentin auch ihre Aufgabe und ihre Mission verloren. Nun fliegt sie zurück in die USA, in eine ungewisse Zukunft.
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Was in der Schlussszene von „Zero Dark Thirty“ nur angedeutet wird – die Schwierigkeiten der US-Soldaten, nach einem Auslandseinsatz im Alltag wieder Fuß zu fassen– ist für den Todesschützen von Osama Bin Laden bittere Realität geworden. Der frühere Soldat der Navy Seals aus Virginia berichtet in einem Interview für das Magazin Esquire erstmals über seinen Kommandoeinsatz bei der Killereinheit Seal Team 6. Aber er spricht auch über seine finanziellen Sorgen und die Arbeitslosigkeit nach der Rückkehr in die USA.
Ohne Job und Krankenversicherung: Bin-Laden-Todesschütze bangt um seine Zukunft
“Der Mann, der Osama Bin Laden erschoss und tötete, saß in meinem Korbstuhl im Hinterhof und fragte sich, wie er zukünftig Frau und Kinder ernähren oder die Krankenversicherung bezahlen soll“, beginnt der Journalist Phil Bronstein seinen Artikel für Esquire. Bronstein, ein bekannter investigativer Reporter, hat den Todesschützen über ein Jahr lang begleitet und unzählige Interviews mit ihm geführt. Dabei ist er dem Mann, der mit drei Schüssen das Leben des gefährlichsten Terroristen der Welt auslöschte, sehr nahe gekommen.
Der Scharfschütze sei "muskulös wie ein Gewichtheber, mit einer irrwitzigen Menge Tattoos". Doch als der Hüne an einem milden Apriltag über seine Zukunft nachdenkt, darüber, ob er die Navy verlassen soll und wie sich dann sein Leben gestaltet, da schwitzt er, steht immer wieder auf und läuft unruhig hin und her, trinkt zu viel Whisky. Für einen Kämpfer, der über 30 Feinde tötete, "oft Auge in Auge", wie er selbst versichert, ist diese Nervosität ungewöhnlich. Aber die Unruhe in den milden Frühlingstagen scheint begründet: der frühere Elitesoldat hat auch fernab von Krisengebieten und Schießereien mit existentiellen Nöten zu kämpfen.
Dabei lässt der Ex-Navy-Seal keinen Zweifel gelten, dass es richtig war Bin Laden zu töten. „Ich bin nicht religiös, aber ich war immer der Überzeugung, dass ich auf die Erde gekommen bin um etwas Besonders zu tun. Nach der Mission wusste ich, was es war“, sagt der zweifache Familienvater, der seinen richtigen Namen nicht nennen will und im Zeitungstext nur "The Shooter" genannt wird.
Doch die Probleme begannen, als der Elitesoldat seinen Dienst beim Militär nach 16 Jahren kündigte. Er verlor seine Krankenversicherung und fand keinen anderen Job. Vergeblich hatte er sich darum bemüht, den Krankenschutz über das Militär aufrechtzuerhalten. Doch ihm sei nur gesagt wurden: „Sie sind außer Dienst, der Versicherungsschutz ist vorbei. Danke für die 16 Jahre.“
Was macht ein Mann, der bereits mit 19 Jahren in das Militär eingetreten ist, nie etwas anderes lernte als Kampfeinsätze zu bestreiten und nun keinen Masterplan für das zivile Leben hat? Der merkt, nun nicht mehr gebraucht zu werden? Er habe das Rekrutierungsbüro damals nur aufgesucht, weil er Liebeskummer hatte, berichtet der Shooter dem Journalisten. Er wollte seinen Gefühlen entfliehen und die Rekrutierung sei mehr ein Unfall gewesen. "Das ist der Grund, warum Al Quaida dezimiert wurde", scherzt er. "Weil ein Mädchen mein verdammtes Herz brach".
Trotz des seltsamen Rekrutierungsgrundes hat der Shooter in über 300 Kampfeinsätzen sein Leben riskiert. Und fühlt sich nun von seinem Heimatland, das er verteidigte, im Stich gelassen. Eine private Krankenversicherung kann sich der Veteran nicht leisten. Die Einsätze in den Krisengebieten haben Narben hinterlassen – Arthritis, Augenprobleme, Gelenkbeschwerden. Krankheiten, die den Versicherungsschutz teuer machen. Mindestens 486 Dollar im Monat müsste der Shooter für seine Krankenversicherung zahlen, für einen Arbeitslosen ist das zu viel Geld. Seine Zukunft malt der frühere Elitekämpfer nun schwarz. "Er hat gewaltige Risiken auf sich genommen", klagt sein Vater. "Aber er ist außerstande, den Lohn zu ernten."
Familie fürchtet Rache von Al Quaida
Ein weiteres Problem macht dem ehemaligen Elitesoldaten nun das Leben schwer: Er fürchtet täglich um seine Familie. Nachdem Fernsehsender herausgefunden hatten, welches Navy-Seal-Team für die Todesschüsse auf Bin Laden verantwortlich gewesen ist, schwärmten die Paparazzi aus und rückten den Angehörigen auf den Leib. Sie interviewten Nachbarn und fotografierten die Wohnhäuser der Soldaten. Die Sicherheit der Familien setzte die Presse damit leichtfertig aufs Spiel, sind doch Racheaktionen von Al Quaida sehr wahrscheinlich. Es ist folglich besser, wenn die Namen der Beteiligten geheim bleiben.
Die Angst ist der Familie nun ein ständiger Begleiter. „Ich habe meinem ältesten Kind gesagt, es soll den Namen des Al-Quaida-Führers nie wieder aussprechen“, berichtet der Scharfschütze. „Es ist ein schlimmer Name, ein verfluchter Name“. Seine Frau wisse nun, wie man mit einem Schrotgewehr umgehe, und wie man auf dem Bett sitzend einen gezielten Schuss abfeuert. Es gebe auch eine Vorratstasche mit Proviant und Kleidung im Haus, die es der Familie erlaube, sich zwei Wochen zu verbarrikadieren und zu verstecken. Unter der ständigen Bedrohung habe die Beziehung gelitten – die Frau habe sich mittlerweile von ihm getrennt, obwohl beide aus purer Geldnot noch immer unter einem Dach wohnen.
Als der Veteran beim Militär anfragte, welche Schutzmaßnahmen die Regierung für den Fall plane, dass seine Identität öffentlich werde, schlugen die früheren Vorgesetzten eine Art Zeugen-Schutz-Programm vor. „Die Marineleitung sagte mir, sie könnten mir einen Job als Bierfahrer in Milwaukee vermitteln“, allerdings unter falscher Identität. Wie Mafia-Spitzeln wäre es der Familie zukünftig verboten, ihre Freunde und Angehörigen zu kontaktieren. „Wir würden alles verlieren“, klagt der frühere Elitesoldat.
Kriegsveteranen sind Armuts-Risikogruppe
Das Schicksal des Bin-Laden-Todesschützen ist kein Einzelfall. Nur elf Prozent der US-Bevölkerung sind Kriegsveteranen – aber sie stellen mehr als 25 Prozent der Obdachlosen im Land. Dies hat eine Studie des amerikanischen Instituts für Obdachlosenforschung (Homelessness Research Institute) aus dem Jahr 2007 ergeben. Neuere Studien bestätigen die erschreckenden Zahlen.
Die Ursachen für den sozialen Abstieg sind vielfältig. Viele Soldaten kommen traumatisiert aus dem Kriegseinsatz zurück und schaffen es nicht, im Alltag wieder Fuß zu fassen. Die Einsamkeit nach jahrelanger Truppenzugehörigkeit lässt die Aussteiger zu Drogen und Alkohol greifen. Zudem verfügen viele Armeeangehörige über keine zivile Berufsausbildung – schon Teenager werden in den Schulen für den Militärdienst angeworben. Die hohen Mieten in den Großstädten tragen zusätzlich dazu bei, dass sich die früheren Soldaten auf der Straße wiederfinden.
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In seiner Reportage zitiert Phil Bronstein einen weiteren Navy-Seal-Soldaten. Der Mann, Inhaber eines akademischen Abschlusses, sagte dem Journalisten: „Ich habe in meiner 15jährigen Armee-Karriere viele Kämpfe erlebt und mich in einigen brenzlichen Situationen wiedergefunden. Aber die Sache, die mir am meisten Angst macht, ist das zivile Leben.“ Eigentlich hatte der amerikanische Präsident Barack Obama versprochen, sich mehr um die Heimkehrer zu kümmern. "Keiner, der in Übersee für sein Land kämpft, soll zu Hause um einen Job oder ein Dach über dem Kopf kämpfen müssen", sagte Obama auf dem letzten Veteranentag.