Am Freitag hat Bundespräsident Joachim Gauck nach einigem Zögern das umstrittene Gesetz zum Betreuungsgeld, von den Gegnern auch Herdprämie genannt, unterschrieben. Ab August 2013 bekommen Eltern ein Betreuungsgeld von 100 Euro und ab 2014 sogar 150 Euro, wenn sie ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in eine staatlich geförderte Kindertageseinrichtung geben bzw. keine staatlich geförderte Tagesmutter in Anspruch nehmen. Der gleichzeitige Bezug von Betreuungs- und Elterngeld ist jedoch ausgeschlossen. Das ist auch der Grund, weshalb das Betreuungsgeld erst ab dem 15. Lebensmonat des Kindes bezogen werden kann. Es wird den Leistungen aus Hartz IV (Arbeitslosengeld 2), Sozialhilfe und den Kinderzuschlag angerechnet.

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Das Gesetz war auf grossen Widerstand in den eigenen Reihen gestossen und wäre fast gescheitert, wenn nicht Horst Seehofer, Vorsitzender der CSU, mit Koalitionsbruch gedroht hätte, um das Prestigeprojekt der CSU durchzusetzen. Ein Kompromiss war zum Schluss ein Ergänzungsgesetz, das den Vorschlag der FDP für ein Bildungssparmodell berücksichtigt. Familien sollen an Stelle einer Auszahlung des Betreuungsgeldes auch ein staatlich gefördertes Bildungssparen nutzen können.

Breiter Widerstand gegen das Gesetz

Gegenüber der Zeitung "Die Welt" sprach sich auch Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, gegen das Betreuungsgeld aus. Hauptkritik von Nikolaus Schneider ist, dass dieses Gesetzt den Ausbau der Betreuungsangebote behindert. Wörtlich sagte er: "Wir müssen uns zuerst darauf konzentrieren, ausreichend Betreuungsangebote zu schaffen".

Die SPD kündigte an, das Betreuungsgeld bei einem Sieg zur Bundestagswahl im September wieder abzuschaffen. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bezeichnete das Betreuungsgeld sogar als "Schwachsinn". Die SPD will gegen das Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen. Unterstützung bot auch Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, in einem Brief an SPD und Grüne an.

Nach dem Wahlerfolg in Niedersachsen kündigte auch der Parteivorsitzender der SPD, Sigmar Gabriel, gegenüber dem ZDF einen erbitterten Widerstand gegen das Betreuungsgeld an. Mit der neuen Mehrheit im Bundesrat von SPD und Grünen soll Druck durch eigene Gesetzesinitiativen gemacht werden. Die geplanten 2 Milliarden Euro sollen besser für den Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen genutzt werden.

SPD-Bügermeister in Hamburg, Olaf Scholz, sieht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes überschritten und hält es für "politisch falsch".

Die Grünen-Fraktionschefin Ekin Deligöz sprach sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung ebenfalls gegen das Betreuungsgeld aus. Die Grünen wollen jedoch nicht gegen das Gesetz klagen und bauen auf einen Wahlsieg bei der Bundestagswahl im September. Ihr Argument: "Das Betreuungsgeld würde von Rot-Grün dann schneller abgeschafft, als Karlsruhe eine Klage prüfen kann".

Auch die Sprecherin der FDP-Fraktion, Miriam Gruß, meldete an, das Betreuungsgeld nach der Wahl 2013 auf den Prüfstand zu stellen. Gegenüber der Saarbrücker Zeitung sagte sie: "Es darf hier keine heilige Kuh geben."

Jürgen Trittin, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, kommentierte bereits den Beschluss des Bundestages zur Einführung des Betreuungsgeld als "kinderfeindlich, frauenfeindlich und familienfeindlich" und tadelte es darüber hinaus als "wirtschaftsfeindlich".


Betreuungsgeld verstösst gegen das Grundgesetz

Die Oppositionsparteien sind davon überzeugt, dass das Betreuungsgeld gegen das Grundgesetz verstösst. Das Betreuungsgeld hält Frauen von einer Erwerbstätigkeit ab und benachteiligt vor allem Kinder aus ärmeren Familien. Zu den Ausgaben für eine staatlich geförderte Kindertageseinrichtung muss eine Familie jetzt noch das Betreuungsgeld draufrechnen, wenn sie sich dafür entscheidet, dass beide Elternteile in den ersten drei Jahren einer Tätigkeit nachgehen wollen. "Einem solchen Rückfall ins 19. Jahrhundert sollte die Opposition nicht nur im Parlament, sondern auch in Karlsruhe gemeinsam die Stirn bieten", sagte Gysi gegenüber der "Berliner Zeitung".

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion zur angekündigten Klage der SPD

Der familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Christoph de Vries, kommentierte den Plan der SPD, gegen das Gesetzt zu klagen, auf dem Bundespressportal mit den Worten: "Hinter der Klage gegen das Betreuungsgeld steckt nichts anderes als Missachtung und mangelnde Anerkennung für die elterliche Fürsorge und Betreuung der eigenen Kleinkinder." Und weiter: "Die verfassungsrechtlichen Zweifel sind fadenscheinig und widersprüchlich. Man kann nicht auf der einen Seite beim Krippenausbau, der eigentlich Sache der Länder und Kommunen ist, seit Jahren die Hand aufhalten und sogar eine höhere finanzielle Beteiligung des Bundes einfordern, aber auf der anderen Seite beim Betreuungsgeld auf die Zuständigkeit der Länder verweisen und mit dieser Begründung vor dem Verfassungsgericht klagen."


Auch das Bundespräsident war bei der Unterzeichnung des Gesetztes nicht sicher

Die Sprecherin des Bundespräsidialamtes, Ferdos Forudastan, teilte am Freitag auf der eigenen Webseite mit: "Bundespräsident Joachim Gauck hat heute das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes ausgefertigt und den Verkündungsauftrag erteilt. Im Rahmen der dem Bundespräsidenten obliegenden Ausfertigung hat er eingehend geprüft, ob das Gesetz mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Im Ergebnis waren die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht so durchgreifend, dass sie einer Ausfertigung im Wege gestanden hätten." Zwischen den Zeilen heisst das nichts anders, als das auch der Bundespräsident nicht frei von Zweifeln bei der Unterzeichnung gewesen ist.


Rechtsgutachten der Grünen gegen das Gesetzt zum Betreuungsgeld

Bereits im Oktober 2010 fertigte die Bundestagsfraktion der Grünen ein Rechtsgutachten zum damals bereits schon geplanten Betreuungsgeld an. Im Ergebnis kommt Gutachten zum Schluss, dass das geplante Gesetzt gegen die Verfassung verstösst, insbesondere gegen den Schutz der Familie und gegen den Verfassungsauftrag zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Ebenfalls sorgt das Betreuungsgeld zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Familienformen. Die Verfestigung der "überkommenen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen" wird ebenfalls als ein Verstoss gegen den "Verfassungsauftrag nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG " gewertet. Die Begründung endet mit den Worten: "Zwar knüpft das Betreuungsgeld nicht unmittelbar an das Merkmal Geschlecht an, sondern kann grundsätzlich von Müttern wie Vätern beansprucht werden. Doch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird auch heute noch die Betreuung von Kleinkindern ganz überwiegend von Müttern übernommen. Die mit dem längeren Ausscheiden aus dem Beruf einhergehenden Risiken werden daher vor allem Frauen betreffen. Das Betreuungsgeld hat den Effekt, die überkommene Rollenverteilung zu verfestigen."

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Fazit

Eltern können sich keineswegs sicher sein, vom Betreuungsgeld ab August 2013 Gebrauch zu machen. Zumindest wird ein möglicher Sieg von SPD und Grünen bei der Bundestagswahl im September auf jeden Fall zur Abschaffung des Gesetztes führen, glaubt man den Ankündigungen der Spitzenkandidaten. Offen ist ebenfalls der Ausgang der angekündigten Klage vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe. Das Rechtsgutachten der Grünen aus dem Jahre 2010 wird zwar auch den Rechtsexperten des Bundespräsidenten vorgelegen haben, aber eine Entscheidung vor Gericht kann auch anders ausfallen und eventuell können auch noch andere Gründe für einen möglichen Verstoss gegen die Verfassung von der Opposition vorgetragen werden.