Privatpatienten profitieren kaum von Unisex-Umstellung
Die Unisex Tarife sollten in der Privaten Krankenversicherung (PKV) für mehr Gleichberechtigung sorgen. Zwei Monate nach Einführung von Unisex kritisiert eine Verbraucherplattform: Die private Krankenversicherung ist für Neukunden im Schnitt teurer geworden, sowohl für Männer als auch für Frauen. Es bleibe bei der Umstellung der PKV Tarife ein fader Beigeschmack.
Seit dem 21. Dezember 2012 gibt es den kleinen Unterschied im Versicherungswesen nicht mehr. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Urteil darauf bestanden, dass die bisher praktizierte Beitragsbemessung nach männlichen und weiblichen Versicherten diskriminierend und somit zu verbieten sei. Für Neutarife dürfen fortan nur geschlechtsneutrale Prämien berechnet werden. Aber wer darauf gehofft hatte, dass Frauen dank der Unisex-Umstellung in der privaten Krankenversicherung weniger Beitrag zahlen müssen, der wird nun bitter enttäuscht.
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Die Einführung geschlechtsneutraler Tarife führte in der PKV dazu, dass im Schnitt die Neutarife sowohl für Frauen als auch für Männer teurer geworden sind. Die teilt die Verbraucherplattform PKV-Vergleich.de in einer aktuellen Pressemeldung mit. Einen Ausgleich zugunsten der Frauen konnte das Vergleichsportal hingegen kaum beobachten. Nur wenige Anbieter hätten die Beiträge für Frauen tatsächlich gesenkt.
Frauen werden im Schnitt älter als Männer – und mussten deshalb in der PKV mehr zahlen
Vor Einführung der Unisex-Tarife mussten Frauen in der privaten Krankenversicherung teils deutlich höhere Beiträge zahlen. Der Grund: Frauen leben gesünder, werden im Schnitt älter als Männer und erzeugen deshalb im Greisenalter höhere Gesundheitskosten. Laut PKV-Sterbetafel betrug die Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen im Jahr 2009 durchschnittlich 83,64 Jahre, die der Mädchen hingegen 87,14 Jahre.
Im Alter ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, krank oder sogar ein Pflegefall zu werden. So fielen im Jahr 2006 für die Bevölkerungsgruppe der über 65jährigen, die rund 17 Prozent der Bevölkerung ausmachen, 43 Prozent der gesamten Gesundheitskosten an. Und fast zwei Drittel aller pflegebedürftigen Personen sind weiblichen Geschlechts.
Statistische Zahlen, die den Frauen in der PKV bisher teuer zu stehen kamen. So hatte beispielsweise ein 30jähriger Mann für den "AXA-Tarif VITAL-N" monatlich 270,80 Euro zu berappen, während eine Frau mit 356,92 Euro Monatsbeitrag weitaus tiefer in die Tasche greifen musste. Bei anderen Versicherungsanbietern sah es nicht viel anders aus.
Die geschlechtsneutralen Tarife sollten eigentlich für einen Ausgleich sorgen. Männer müssen fortan mehr Monatsbeitrag in der PKV zahlen, Frauen hingegen weniger, so prophezeiten Medien und Versicherungsgesellschaften vor der Umstellung auf Unisex. Doch in vielen Tarifen wurden die Beiträge für beide Geschlechter angehoben.
Analysehaus Franke und Bornberg stellt teils drastische Beitragssteigerungen für beide Geschlechter fest
Das Portal PKV-Vergleich.de verweist nun auf eine Studie der Ratingagentur Franke und Bornberg, um die bisherigen Auswirkungen geschlechtsneutraler Tarife zu verdeutlichen. Die Franke und Bornberg-Analysten gehörten zu den wenigen, die bereits vor dem offiziellen Start der Unisex Tarife Einblick in die neuen Beitragsbemessungsgrundlagen von 11 privaten Krankenversicherungen erhielten. Das Urteil fiel ernüchternd aus. Zwar seien die PKV Leistungen teils erheblich aufgestockt worden. Zugleich stiegen die Beiträge jedoch weitaus stärker als erwartet (der Versicherungsbote berichtete).
Als Grundlage wurden jeweils die alten Bisex – also geschlechtsabhängigen – Tarife für einen dreißigjährigen Mann und eine ebenso alte Frau herangezogen und mit den neuen Unisex PKV Tarifen für das Jahr 2013 verglichen. Durchschnittlich zahlen männliche PKV Neukunden im Vergleich von Franke und Bornberg um rund 25 Prozent, weibliche Neueinsteiger um 3 Prozent erhöhte Beiträge. In Einzelfällen sind jedoch für Männer bis zu 56 Prozent, für Frauen bis zu 37 Prozent Beitragssteigerung möglich, wenn sie nach Unisex eine private Krankenversicherung abschließen. Manche Tarife verbilligen sich jedoch auch für Frauen um bis zu 10 Prozent.
Beitragsentwicklung an zwei Tarifbeispielen
Um die unterschiedlichen Auswirkungen der Tarifumstellungen exemplarisch aufzuzeigen, greift der Vergleichsportal-Betreiber zwei Tarife aus der anonymisierten Liste von Franke und Bornberg heraus. Während bei Tarif A die Frauen von der Unisex-Umstellung profitieren, müssen bei Tarif B beide Geschlechter deutlich erhöhte Monatsbeiträge entrichten:
- In Tarif A zahlen Neukunden beiderlei Geschlechts nach Unisex 386,83 Euro. Vor der Unisex-Umstellung musste ein 30jähriger Mann nur 300,14 Euro Monatsbeitrag zahlen, so dass sich die Beiträge für männliche Neukunden um 29 Prozent erhöhten, also um 86,69 Euro. Eine dreißigjährige Frau hingegen zahlte vor Unisex im getesteten Tarif 432 Euro, was bedeutet: für weibliche Neukunden fielen die Beiträge in diesem Tarif um 10 Prozent, also um 45,17 Euro.
- Tarif B verlangt nach der Unisex-Einführung einen Beitrag von 384,28 Euro von beiden Geschlechtern. Ein dreißigjähriger Mann zahlte vor Unisex einen monatlichen Beitrag von 255,55 Euro, männliche Neukunden diesen Alters zahlen nun im Vergleich zu früher einen um 50 Prozent, also um 128,73 Euro erhöhten Beitrag. Gleichaltrige Frauen zahlten im selben Tarif vor Unisex 281,01 Euro, nach dem 21.12.2012 stiegen die Beiträge für weibliche Neuversicherte um 37 Prozent, also um 103,27 Euro.
Unisex-Umstellung nicht der alleinige Grund für PKV-Beitragserhöhungen
Sowohl Franke und Bornberg als auch PKV-Vergleich.de betonen, dass die Unisex-Umstellung keineswegs der alleinige Grund für die Tariferhöhungen sei. So haben die privaten Krankenversicherungen derzeit mit den niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt zu kämpfen. Es wird für die Anbieter immer schwieriger, den zugesagten Rechnungszins von 3,5 Prozent auf Altersrückstellungen zu erwirtschaften. Beitragserhöhungen zu Lasten der Versicherten sind die logische Folge. Einzelne Gesellschaften wie die Süddeutsche oder Hallesche haben bereits angekündigt, ihren Rechnungszins in 2013 senken zu wollen.
Zudem haben auch die privaten Krankenversicherungen mit steigenden Gesundheitskosten aufgrund der Alterung der Gesellschaft zu kämpfen. Zusätzlich lassen Leistungsverbesserungen in den einzelnen Tarifen die Kosten steigen, viele Verträge wurden um Angebote wie ambulante Psychotherapien, offene Hilfsmittelkataloge und Suchtentwöhnungsbehandlungen ergänzt. Folglich sei Unisex nur ein Teilaspekt für den Beitragsanstieg in der PKV. Die Unisex-Umstellung habe vielen Privatversicherern die Möglichkeit eröffnet, lange geplante Beitragserhöhungen durchzusetzen, spekuliert PKV-Vergleich.de.
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Obwohl es also mehrere Gründe für die Teuerungen gibt, sehen die Betreiber des Vergleichsportals ein klares Potential für Nachbesserungen bei den PKV-Tarifen. In anderen Versicherungssparten wie der Berufsunfähigkeitsversicherung oder der privaten Altersvorsorge sei eine deutliche Beitragssenkung für das bisher benachteiligte Geschlecht nach Unisex erreicht worden – in der PKV blieben diese Anpassungen aus. „Und so bleibt nach der Einführung von Unisex in die private Krankenversicherung vor allem eines: Ein fader Beigeschmack“, argumentiert PKV-Vergleich.de.