Die derzeitige Niedrigzinsphase habe zwei Gesichter, erklärte Elke König am Donnerstag in Leipzig auf dem 13. Vorlesungstag des Institutes für Versicherungswissenschaften. „Was für die verschuldeten Staaten ein Segen ist, ist für andere ein Fluch, der Versicherungen in Bedrängnis bringt.“ Noch vor zwanzig Jahren habe etwa die Rendite von Bundesanleihen bei sieben Prozent gelegen, heute sei diese Anlage kaum rentabel.

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Zwar könnten alle Lebensversicherungen ihre Garantiezusagen in den nächsten vier bis fünf Jahren erfüllen, fasste König das Ergebnis einer BaFin-Erhebung zusammen. Aber wie sieht es in dreißig Jahren aus? Wenn die Zinsen auf einem derart niedrigen Niveau verbleiben, dann brauchen die Lebensversicherer auf lange Sicht einen Finanzpuffer für schlechtere Zeiten. „Als Aufseher müssen wir nicht nur auf das Heute und Morgen, sondern auch auf das Danach schauen." Eine vorausschauende Aufsicht sei der beste Verbraucherschutz.

Seit 2008 besteht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Versicherer ihre Kunden zu 50 Prozent an den Bewertungsreserven beteiligen müssen, wenn der Vertrag endet. Als Bewertungsreserve wird die Differenz zwischen dem aktuellen Marktwert einer Kapitalanlage und deren Kaufpreis bezeichnet. Paradox sei hierbei, dass die Versicherungsnehmer ausgerechnet in Zeiten niedriger Zinsen mit enorm hohen Ausschüttungen rechnen können. „Dem verbleibenden Kunden gehen diese Reserven schlichtweg verloren“, argumentierte König. Ein Anleger, dessen Vertrag in zehn bis fünfzehn Jahren ausläuft, könne dann nicht mehr damit rechnen, dass noch signifikante Bewertungsreserven vorhanden seien. „Diese entstehen nur bei sinkenden Zinsen und irgendwann ist damit Schluss.“ Je mehr die jetzigen Kunden von den Bewertungsreserven profitieren, desto weniger haben die zukünftigen Versicherungsnehmer im Topf.

Scheinwerte in der Lebensversicherung?

Als heimtückisch entpuppt sich dabei die Tatsache, dass die Beteiligung der Kunden auch für Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere gilt, etwa für Staatsanleihen und Bundeschatzbriefe. Bei diesen Schuldscheinen ist die Wertsteigerung mitunter nur scheinbar vorhanden. Zwar werden die Anleihen auch an der Börse gehandelt und unterliegen folglich Kursschwankungen. Aber die Anleihen besitzen einen festen Anfangs- und Endwert, wenn sie der Versicherer bis zum Ende der Laufzeit im Portfolio behält. Von einer Wertsteigerung kann dann aus Sicht des Investors nicht gesprochen werden.

Gerade diese Scheinwerte aus Staatsanleihen trugen aber dazu bei, dass die Bewertungsreserven der Lebensversicherer in den letzten Monaten explodierten. Schuld daran ist auch die Eurokrise. Seit Ausbruch der Schuldenkrise werden alte Staatsanleihen aus Vorkrisenzeiten, die heute noch hohe Zinsen versprechen, enorm teuer gehandelt. Die Wertsteigerung dieser Staatsanleihen führt zwangsläufig zu steigenden Bewertungsreserven in der Lebensversicherung, die traditionell einen hohen Anteil der Staatspapiere besitzt.

Obwohl Elke König in ihrem Vortrag nicht explizit von Scheinwerten sprach, hatte auch sie vor allem die festverzinslichen Wertpapiere im Blick. Die BaFin-Chefin betonte, dass die Bewertungsreserven aufgrund ebendieser Schuldscheine in Rekordzeit angeschwollen seien, und zwar von drei Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 75 Milliarden Euro im Jahr 2012. Damit hat die Eurokrise den Versicherungskunden eine Rekordausschüttung aus Bewertungsreserven von 3 Milliarden Euro beschert. Beteiligungen an Werten, die vielleicht nur auf dem Papier existieren.

Nur Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren sind betroffen

Mehrfach machte Elke König während ihres Vortrages deutlich: Aufgrund der langfristigen Perspektive habe die Finanzaufsicht geradezu die Pflicht, sich für eine Drosselung der Kundenbeteiligung auszusprechen. Denn umso mehr Geld werde dem Versicherungskollektiv zukünftig für die Beitragsrückerstattung übrig bleiben. „Fakt ist: Das Kollektiv wird durch die Neuregelung nicht geschwächt, sondern gestärkt“, begründet König ihre Parteinahme für eine Deckelung.

Diese würde übrigens nur festverzinsliche Wertpapiere betreffen. Die Bewertungsreserven aus Aktien und Immobilien bleiben durch das SEPA-Begleitgesetz hingegen unangetastet. „Wir brauchen eine Lösung, die die Interessen aller Versicherungsnehmer berücksichtigt, nicht nur die Interessen der jetzigen Versicherungsnehmer“, warb König für einen neuen Kompromiss im Bundesrat. Nächste Woche kommt der Vermittlungsausschuss der Länderkammer zusammen, um über die Beteiligung der Kunden zu beraten.

Scharf kritisierte Elke König die Berichterstattung der Medien zu dem Thema. Dem Kunden würde suggeriert, dass ihnen die Versicherungsunternehmen Milliardenbeiträge wegnehmen wollen. Aber dies sei nicht der Fall, da die Rücklagen eben im Kollektiv verbleiben und damit den zukünftigen Versicherungskunden zugute kommen.

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Die BaFin-Chefin verwies darauf, dass auch ein früheres Gesetz darauf zielte, die Versicherer mit einem zusätzlichen Kapitalpuffer auszustatten. So müssen die Lebensversicherer seit 2011 eine sogenannte Zinszusatzreserve zurückstellen. Diese Rücklage ist verpflichtend, wenn der von den Gesellschaften erwirtschaftete Referenzzinssatz aus Staatsanleihen die Garantien gegenüber den Kunden unterschreitet. Bis zu 5 Milliarden Euro konnten damit in 2012 angespart werden. Es sei richtig gewesen, diese Zinszusatzreserve einzuführen, sagte König: Damit sei eine „Drohverlustrückstellung“ geschaffen worden. Damals übrigens gegen einen breiten Widerstand der Versicherungsgesellschaften.