Vor einer Woche erschien die britische Wochenzeitung The New Statesman mit einer fragwürdigen Titelseite. Darauf war das Gesicht von Angela Merkel zu sehen, ihr Konterfei in ein grelles Rot getaucht, neben Bildern von Helmut Kohl, Otto von Bismarck – und Adolf Hitler. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der deutschen Macht“, schrieb der Historiker Brendan Sims in dem dazugehörigen Beitrag. In den letzten fünf Jahren habe der deutsche Einfluss auf dem Kontinent entscheidend zugenommen, immer mehr Menschen würden eine Vormachtstellung der Deutschen in Europa fürchten. Schlimmer noch: Die Bundesrepublik sei so mächtig wie nie zuvor in der Geschichte.

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Deutschland ist bisher gut durch die Finanz- und Eurokrise gekommen. Die Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise niedrig, die Wirtschaftslage stabil, die Exportzahlen brummen. Fast automatisch wächst damit auch der Einfluss der Bundesrepublik auf der europäischen Bühne. Ein Einfluss, von dem die deutschen Spitzenpolitiker mit nahezu missionarischem Eifer Gebrauch machen. Ob strenge Fiskalregeln für die bankrotten Krisenländer, ob Nein zu Eurobonds oder verfassungsrechtlich festgeschriebene Schuldenbremse – die Krauts bestimmen wieder wesentlich mit, welche Melodie in Europa gespielt wird. Und je mehr die Krisenstrategien keine Wirkung zeigen, desto kritischer wird Deutschlands gestalterische Rolle in Europa gesehen. Bei Demonstrationen in Porrtugal, Spanien oder in Zypern richtet sich die Wut der Massen auch gegen die Bundesregierung.

Wurde das Schicksal der zypriotischen Spareinlagen in Berlin besiegelt?

Vieles spricht nun dafür, dass deutsche Interessen auch bei dem Rettungsplan für Zypern eine wichtige Rolle gespielt haben. Wie das Handelsblatt berichtet, ist ein bizarrer Streit darüber entbrannt, wer eigentlich die Idee einer Zwangsabgabe für Zyperns Sparer forderte. Bei vielen Finanzexperten bewirkte dieser Vorstoß pures Entsetzen. Nun will keiner für den Griff ins Portemonnaie der zyprischen Sparer verantwortlich sein.

Zyperns Präsident Nikos Anastasiades erklärte, er habe die Zwangsabgabe akzeptieren müssen als Gegenleistung für die internationale Hilfe. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wies aber Spekulationen zurück, wonach eine Beteiligung der Sparer explizit auf das Drängen der Bundesregierung zustande gekommen sei. Er habe sich von vorn herein dafür ausgesprochen, dass die Sparkonten von Kleinsparern nicht angegriffen werden. "Das war die zyprische Regierung, auch die Europäische Kommission und die EZB, die haben sich für diese Lösung entschieden, und das müssen sie nun dem zyprischen Volk auch erklären", sagte der CDU-Politiker der ARD. Auch Jörg Asmussen, Direktor der Europäischen Zentralbank (EZB), wies jede Verantwortung von sich. Man habe lediglich darauf bestanden, dass Privatanleger sich in Höhe von 5,8 Milliarden an dem Rettungspaket beteiligen müssen. Wie dieser Betrag zustande komme, sei hingegen Sache der zyprischen Regierung.

Aus einem Bericht der britischen Financial Times geht jedoch hervor, dass die Bundesregierung sehr wohl darauf drängte, die Kunden von Zyperns Banken massiv an den Rettungskosten zu beteiligen. „Die Mitglieder der zypriotischen Delegation wussten noch nicht, dass ihr Schicksal bereits besiegelt war, als sie am Freitag Abend das Justus-Lipsius-Gebäude in Brüssel betraten“, berichtet Journalist Peter Spiegel. „Ihre deutschen Verhandlungspartner bestanden darauf, dass sie 7 Milliarden Euro der benötigten 17 Milliarden Hilfsgelder aus den Spareinlagen der Banken des Landes aufbringen sollten“. Bereits vor den offiziellen Verhandlungen habe Angela Merkel dem neuen zypriotischen Präsidenten Anastasiades das Zugeständnis abgerungen, auch die Sparer an den Kosten zu beteiligen. Aber von der gewaltigen Summe sei Anastasiades überrascht gewesen. Während der Verhandlung habe er wütend den Raum verlassen und gerufen: „Ihr versucht, uns kaputt zu machen! Selbst wenn ich zustimme, bekomme ich das nie durch das Parlament!“

Zyperns Parlament wird der Zwangsabgabe wohl nicht zustimmen

Die Worte von Nikos Anastasiades könnten sich als visionär erweisen. Wenn heute abend um 17:00 Uhr MEZ das Parlament zusammen kommt, wird es wohl die Zwangsabgabe zu Lasten der Sparer abschmettern. Bislang haben 28 von 56 Parlamentariern ihr Nein zum Rettungspaket bekräftigt, berichtet der Spiegel. Es ist damit zu rechnen, dass dies neue Turbulenzen an den Finanzmärkten nach sich zieht.

Zwar haben die EU-Finanzminister am Montagabend Zugeständnisse gemacht. Kleinsparer mit Einlagen bis 100.000 Euro sollen nun von der Zwangsabgabe komplett verschont bleiben. Umso mehr müssen jedoch jene Sparer bluten, die mehr als 100,000 Euro auf dem Bankkonto haben: Sie sollen auf stolze 15,6 Prozent ihrer Bankguthaben verzichten. Eine Regelung, die auch viele mittelständische Unternehmer treffen könnte, denen das Geld für Investitionen verloren geht.

In Zypern wird laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ hingegen ein anderer Vorschlag bevorzugt. Kleinsparer mit einem Guthaben bis 20.000 Euro sollen keine Abgabe zahlen müssen, alle anderen Bankkunden 6,75 Prozent auf ihr Bankguthaben zahlen. Der in Brüssel vereinbarte Plan vom Wochenende sah zunächst vor, bis zu 100.000 Euro Sparguthaben eine Abgabe von 6,75 Prozent festzusetzen, für mehr als 100.000 Euro 9,9 Prozent.

Angst vor dem Bank-Run

Das Hauptproblem aber bleibt: Die EU hat ein Signal an ihre Sparer gesendet, dass sie gewillt und fähig ist, zur Rettung von Bankhäusern sogar auf die Sparkonten der Bürger zuzugreifen und -nach Interpretation von Wolfgang Münchau- die Bürger teilweise zu enteignen. Das könnte schon bald auch für andere Krisenländer wie Spanien, Portugal und Italien gelten. Dann für Frankreich oder für Deutschland? Ganz gleich, ob nun die Gelder von Kleinsparern in Zypern angetastet werden oder nicht: Das Vertrauen in den Euro ist stärker als zuvor erschüttert.

„Alle Beteuerungen, bei Zypern handele es sich um einen Sonderfall, nicht vergleichbar mit Spanien oder Italien, werden die losgetretene Lawine nicht mehr stoppen können“, schreibt der Ökonom Heiner Flassbeck auf seinem Blog. „Ob das Parlament in Nikosia dem “Hilfs“paket zustimmt oder nicht, darauf kommt es nun schon nicht mehr an. Ob Zustimmung, Ablehnung oder Nachverhandeln: Das ohnehin schon angekratzte Vertrauen in die südeuropäischen Banken und unser gesamtes Geldsystem lässt sich zwar mit einem Federstrich zerstören, aber nicht mit einem Federstrich wiederherstellen.“

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Welches Interesse könnten aber die Finanzminister der reichen EU-Staaten haben, in Zypern eine Zwangssteuer auf Privatkonten einzuführen? Das Finanzportal Business Insider zitiert einen Bericht von Goldmann Sachs, wonach es durchaus Parallelen zwischen Zypern und anderen Krisenstaaten wie etwa Italien oder Irland gebe. Sollte eine Zwangsabgabe von 8,5 Prozent in allen Euro-Krisenländern eingeführt werden, könnte dies bis zu 305 Milliarden Euro in die Kasse spülen. Europas Sparer müssen sich also schlimmstenfalls darauf einstellen, zukünftig stärker als bisher für die Auswirkungen der Finanzkrise zur Kasse gebeten zu werden. „Der Deal bedeutet, dass das Geld, das man auf einem BankKonto hat, nicht mehr so sicher wie bisher ist", sagte Jacob Kirkegaard vom Peterson Institute for International Economics in Washington der New York Times. "Wir treten in eine neue Welt ein."