"Sind Gesetzesänderungen nötig?"
Ein bisher unveröffentlichtes Schreiben aus dem Bundesjustizministerium sorgt für neuerlichen Diskussionsstoff um eine vermeintlich systematisch verzögerte Schadenregulierung in der Assekuranz. Die Justizministerien der Länder sollen dazu ihre Einschätzung abgeben. Auch der GDV und der PKV sowie der BdV und der vzbv wurden angeschrieben.
- "Sind Gesetzesänderungen nötig?"
- Funktion der Landesjustizverwaltungen
Wenn Unternehmen, Behörden und Organisationen auf kritische Pressemeldungen hin eine Klarstellung herausgeben, hat diese oft einen Charakter der Rechtfertigung. Oder anders ausgedrückt: Wenn im Boxring einer der Kämpfer auf die Hiebe seines Kontrahenten nur reagiert – und nicht selbst auch agiert – ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis der Offensive als Sieger den Ring verlässt.
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Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) hebt den Fehdehandschuh immerhin in sportlicher Manier geschwind auf, den ihm Medienvertreter hinwerfen. „Versicherer zahlen zügig“ ist die Klarstellung des Verbandes vom 21.03.2013 überschrieben. Grund für diese rasche Reaktion des GDV war ein Bericht desselben Tages in der Süddeutschen Zeitung (SZ) mit dem Titel: „Wie sich Versicherer ums Zahlen drücken“.
Ein bisher unveröffentlichter Brief wird publik
Dr. Marc Beise, Ressortleiter Wirtschaft der SZ, zitiert in seinem Artikel „einen bisher unveröffentlichten Brief an die Landesjustizverwaltungen“. Absender des Schreibens: Das Bundesministerium der Justiz (BMJ). Das Ministerium unter Leitung von Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat „eine Umfrage in den Ländern gestartet zur Regulierungspraxis der Gesellschaften nach Schäden“, schreibt Beise.
Die „Umfrage“ soll zu einer Antwort auf die Frage verhelfen, ob die Assekuranz berechtigte Ansprüche ihrer Versicherungsnehmer und Anspruchsteller verzögert und ablehnt. Mit dem Thema der angeblich verzögerten Schadenregulierung befassten sich in Folge des SZ-Artikels mehrere Medien. Unter der Überschrift „Gesetzliche Sanktionen bei verzögerter Schadensregulierung in Planung?“ habe ich ebendieses Thema aufgegriffen. Veröffentlicht wurde der Beitrag in der Online-Ausgabe von „AssCompact – Fachmagazin für Risiko- und Kapitalmanagement“.
Empfänger des Briefes: GDV und PKV, BdV und vzbv
In dem Beitrag für „AssCompact“ heißt es, dass auch dem GDV der Brief des Bundesjustizministeriums zugegangen ist. Der GDV hat den Eingang des Schreibens bestätigt. „Für unsere Stellungnahme für das BMJ erheben wir derzeit aktuelle Zahlen und Fakten zur Regulierungspraxis bei unseren Mitgliedsunternehmen“, so der Branchenverband der Assekuranz.
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Neben dem GDV hat das BMJ weitere Verbände angeschrieben und ihnen angeboten, sich zu dem Komplex der vermeintlichen verzögerten Schadenregulierung zu äußern. Zu den Empfängern zählt meinen Informationen nach der PKV – Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV), der Bund der Versicherten e.V. (BdV) sowie der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv). All diesen Interessenverbänden stellt das BMJ „anheim, sich ebenfalls innerhalb der Frist zu äußern“, welche es auf den 30.06.2013 angesetzt hat. Mit dem GDV und dem PKV als Schwergewichte der Assekuranz-Lobby und dem BdV und dem vzbv als Speerspitze der Kunden-Lobby hat das Ministerium die größten und bekanntesten Organisationen in ihrem Bereich ausgewählt. Keiner der Angeschriebenen wird wohl die Möglichkeit einer Antwort ungenutzt verstreichen lassen.
Funktion der Landesjustizverwaltungen
Gerichtet ist der Brief indes in erster Linie an die „Landesjustizverwaltungen“. Damit sind die in den jeweiligen 16 Bundesländern vertretenen Landesministerien der Justiz gemeint. Als oberste Landesbehörden üben die Landesjustizverwaltungen die Fachaufsicht über die Gerichte und Justizbehörden aus und sind damit die oberste Dienstbehörde für u.a. Richter und Staatsanwälte. Sie wirken ebenfalls aktiv an Gesetzesvorhaben sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene mit. Drei Landesjustizverwaltungen tragen übrigens den Namen „Verbraucherschutz“ im Namen: Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz Berlin und das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz.
Das nun vom BMJ gerichtete Schreiben an die Landesjustizverwaltungen wird diese wohl veranlassen, ihrerseits Erkundigungen bei den für sie zuständigen Gerichten, Kammern (z.B. Zivilkammer) und Senaten (z.B. Zivilsenat) einzuholen. Im Klartext bedeutet dies, dass aus der Antwort der jeweiligen Landesjustizverwaltung das Echo aller mit der Materie der Schadenregulierung der Assekuranz befassten Gerichte hervorgeht. Hierin liegt eine hohe Brisanz. Diese ist auch darauf zurückzuführen, dass einzelne Gerichte das Regulierungsverhalten der Assekuranz in scharfen Worten gerügt haben: „Zermürbungsversuch“, „Nötigung“, „unanständig“, „unzulänglich“, „kleinlich“ sind nur einige Stichwörter, die sich die Versicherer anhören mussten.
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BMJ: Immer wiederkehrende Beschwerden über Assekuranz
Als ersten Grund für die Bitte um Einschätzung der Landesjustizverwaltungen werden im Schreiben des BMJ jedoch „Beschwerden“ genannt, die „immer wieder“ im BMJ eingingen. Mit diesen „Beschwerden“ werde „geltend gemacht“, „Versicherer leisteten mit erheblicher Verzögerung, es gehe auch darum, die wirtschaftlich stärkere Position auszunutzen mit dem Ziel, den Anspruchsteller in ‚zermürbenden Rechtsstreitigkeiten’ zur Aufgabe des Anspruchs oder zu einem für den Versicherer günstigen Vergleich zu bewegen.“
Das Ministerium beruft sich also zunächst auf „Beschwerden“, die im Ministerium „immer wieder“ eintreffen würden. Im folgenden fasst der Verfasser des Schreibens des BMJ den Inhalt dieser „Beschwerden“ zusammen – im Konjunktiv, die „zermürbenden Rechtsstreitigkeiten“ selbst zitierend. Für das BMJ, so heißt es im Brief, „liegen“ „gesicherte Erkenntnisse darüber, ob die bestehende Rechtslage im Sinne der genannten Beschwerden ausgenutzt wird, ... nicht vor.“ Das Ministerium gibt sogar zu Bedenken, dass „die Darstellung in Eingaben... selbstverständlich immer subjektiv“ seien und verweist auf „die Pflicht von Versicherungen, unberechtigte Ansprüche abzuwehren, auch, um Prämiensteigerungen zu vermeiden.“
„Sind Versicherer vorschnelle Nein-Sager?“
Erwähnt wird im BMJ-Schreiben auch der Film die „Nein-Sager“ vom vergangenem Jahr. Dieser führte anhand von geschädigten Protagonisten verschiedene Beispiele an, die zeigen sollten, wie die Assekuranz „Tausende in finanzielle und seelische Nöte“ stürzten. Christoph Lütgert, einer der Filmautoren vor und hinter der Kamera der Panorama-Sendung, berichtet von der Reaktion des GDV. „Nach Ausstrahlung der Panorama-Reportage hatte sich der GDV beim Norddeutschen Rundfunk massiv beschwert“, sagt Lütgert. „Diese Kritik wurde vom Intendanten Lutz Marmor zurückgewiesen“, so der Journalist.
„Jetzt führte das Bundesjustizministerium exakt diese Reportage in dem Schreiben an die Länder an und gab auch den Link für die Ansicht im Internet weiter“, freut sich Reporter Lütgert. Sind Versicherungen also tatsächlich „vorschnelle Nein-Sager, die sich mit perfiden Tricks verweigern, wenn Geschädigte dringend Hilfe brauchen?“ fragt Lütgert rhetorisch und liefert gleich die entsprechende Antwort dazu. Die Dokumentation „Die Nein-Sager“ habe „solche Praktiken entlarvt und eindrucksvolle Belege geliefert.“ Nun zeige „sich das Bundesjustizministerium alarmiert – unter ausdrücklichem Verweis auf die Panorama-Reportage.“
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Antwort auf drei Fragen
Konkret möchte das BMJ Antworten auf drei Fragen haben: Sehen die Richter eine Zunahme eines verzögerten Verhaltens auf der Seite der Versicherungsunternehmen? Reichen die jetzigen Rechtsregeln aus, um „in zufriedenstellender Weise reagieren“ zu können? Und schließlich – „Sind Gesetzesänderungen erforderlich?“.
Von den Antworten wird wohl abhängen, ob die Politik tatsächlich gesetzlichen Handlungsbedarf sieht. Steht am Ende eine Regulierung der Regulierung? Dies wäre ein großer (Lobby-)Erfolg für Opferverbände. Für den bevorstehenden Wahlkampf ließe sich ein solches Thema allenthalben emotionalisieren. Der letzte Gong ist hier freilich noch nicht ertönt.
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