Warum Frauen noch nicht von den Unisex-Tarifen profitieren
Nach dem Unisex-Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2012 (Versicherungsbote berichtete: Geschlechtsspezifische Prämien diskriminierend und unzulässig) mussten auch in der Privaten Krankenversicherung Beiträge geschlechtsunabhängig kalkuliert werden. Nun liegen Unisex-Tarife vor; Männer zahlen erheblich mehr, doch Frauen profitieren nicht wie erwartet von den neuen Kalkulationsgrundlagen. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) sieht in der anhaltenden Niedrigzinsphase, Leistungsverbesserungen und Vorschriften aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz die wesentlichen Gründe für diese Entwicklung.
Nach Ausführungen der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) schreibt das Versicherungsaufsichtsgesetz vor, dass aufgrund der Unsicherheit über das tatsächliche Wechselverhalten der Versicherten im Bestand der privaten Krankenversicherer in die Unisex-Tarife diese besonders vorsichtig kalkuliert werden müssen. Weitere Schwierigkeit: Die anhaltende Niedrigzinsphase führte zu einer deutlichen Absenkung des Höchtsrechnungszinses von bisher 3,5 Prozent auf höchstens 2,75 Prozent.
Im Bereich der ambulanten Psychotherapie und der Suchtentwöhnung kam es beispielsweise zu Leistungsverbesserungen - auch das schlage sich in der Tarif-Kalkulation nieder.
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Kalkulation eines Unisex-Tarifs ist schwierig
Nur in einem Tarif, in dem dauerhaft gleich viele Männer und Frauen versichert sind, würde der Unisex-Beitrag in der Mitte zwischen den bisherigen Männer- und Frauenbeiträgen liegen. Doch vor der Markteinführung eines Tarifs ist nicht bekannt, wie sich der Versichertenbestand in diesem neuen Tarif zusammensetzen wird. Außerdem haben die Kunden in der Privaten Krankenversicherung ein lebenslanges Recht zum Wechsel zwischen verschiedenen Tarifen ihres Versicherungsunternehmens. Das gilt selbstverständlich auch für den Wechsel von der Bisex- in die Unisex-Welt. Deshalb haben die Versicherungsunternehmen bei der Kalkulation eines PKV-Tarifs nie Gewissheit, wieviele Männer und Frauen auf Dauer in diesem Tarif sein werden. Diese Tatsache hat massive Auswirkungen auf die Kalkulation der Tarife.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat die bisher für Versicherungen erlaubte Differenzierung nach geschlechtsbezogenen Kostenmerkmalen für das Neugeschäft ab 21. Dezember 2012 verboten und damit neues Recht geschaffen. Die Gesetze der Mathematik und der Medizin gelten jedoch weiter: So bleibt es unverändert bei der Tatsache, dass Frauen über weite Teile ihres Lebens im Schnitt höhere Gesundheitskosten verursachen als Männer und ihre Lebenserwartung um einige Jahre höher ist.
Je mehr Frauen in einem PKV-Tarif vertreten sind, desto höher sind auch die Aufwendungen in diesem Tarif, was sich entsprechend auf die Höhe der Beiträge auswirken muss.
Die Kalkulation eines Unisex-Tarifs entsprechend dem Bevölkerungsanteil von etwa 50:50 würde bei jüngeren Frauen zu deutlichen Beitragssenkungen führen, bei jüngeren Männern entsprechend zu fühlbaren Erhöhungen. Würden auf diese Weise kalkulierte Tarife am Markt angeboten, so würden in großer Zahl Frauen aus den bisherigen geschlechtsabhängig kalkulierten Tarifen in die für sie wesentlich günstigeren Unisex-Tarife wechseln. Dies jedoch hätte die Konsequenz, dass dort der Frauenanteil steigen und entsprechend höhere Gesundheitskosten anfallen würden. Da die Krankenversicherer die Verantwortung dafür tragen, dass die Versicherungsleistungen im Sinne des Versicherungsaufsichtsgesetzes ausreichend kalkuliert sind, müssen die Aktuare diesen Wechsel junger Frauen bei der Tarifkalkulation berücksichtigen.
Sind die Unisex-Tarife zu hoch kalkuliert und der gerechnete Bestandswechsel von Frauen bliebe aus, wären die Kosten in diesem Tarifverbund niedriger als kalkuliert – die Beiträge müssten deutlich abgesenkt werden. Das würde dann wiederum den Wechsel von Frauen aus anderen Tarifen auslösen. Die Kosten würden steigen und der Beitrag müsste wieder deutlich erhöht werden. Der Verantwortliche Aktuar jedes Unternehmens habe eine besondere Sorgfaltspflicht und sei deshalb verpflichtet, diese Zusammenhänge bei der Erstkalkulation der Unisex-Tarife zu berücksichtigen.
Die Deutsche Aktuarvereinigung hat deshalb einen Fachgrundsatz zur Erstkalkulation von Unisex-Beiträgen erarbeitet. Dabei werden in einem schrittweisen mathematischen Verfahren die zu erwartenden Tarifwechsel-Bewegungen der Versicherten zusammen mit den voraussichtlichen Neugeschäftsanteilen simuliert. In der Regel schwanken die Ergebnisse dabei zwischen einem höheren und einem niedrigeren Beitragsniveau. In der letzten Stufe zwischen den beiden Niveaus ist der Aktuar verpflichtet, das sicherere, also höhere Beitragsniveau anzusetzen. Auch dieser Sicherheitszuschlag führt dazu, dass die jetzt auf dem Markt befindlichen neuen Unisex-Beiträge in der Privaten Krankenversicherung in der Nähe der früheren Frauenbeiträge liegen.
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Sobald belastbare Erfahrungen über das tatsächliche Verhalten der Versicherten angesichts der neuen Unisex-Welt vorliegen, werde es zu entsprechenden Nachjustierungen und Beitragsanpassungen kommen, teilte die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) mit.