Berufsunfähigkeitsversicherung für Schüler: warum Experten sie empfehlen
Die Berufsunfähigkeitsversicherung sichert Einkommen aus einer Hauptbeschäftigung ab. Schüler aber verdienen in der Regel noch kein Geld mit einer Hauptbeschäftigung. Dennoch kann es sinnvoll sein, schon für Schüler eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Für junge Menschen, die eine handwerkliche Tätigkeit anstreben, ist dies sogar besonders empfehlenswert. Wir klären auf.
Definiert wird der Begriff der „Berufsunfähigkeit“ über das Versicherungsrecht – genauer: über Paragraph 172 Absatz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG): „Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.“
Man geht zugleich also nicht davon aus, dass der Versicherungsnehmer nach einer Zeit der Genesung wieder in seinen Beruf zurückkehren kann (ansonsten nämlich würde es sich um Arbeitsunfähigkeit statt um Berufsunfähigkeit handeln). In der Regel trifft dies auf alle Diagnosen zu, die für mindestens sechs Monate andauern. Zudem muss der Grad der Einschränkung – bezogen auf den ausgeübten Beruf – mindestens 50 Prozent betragen.
Nein! Denn seit einer Rentenreform im Jahr 2001 leistet die Rentenkasse nur noch bei Erwerbsminderung, nicht aber bei Berufsunfähigkeit. Wenn maximal drei Stunden täglich gearbeitet werden kann, erhalten Betroffene gerade einmal ca. 40 Prozent des Nettoeinkommens. Bei drei bis sechs Stunden sind es sogar nur noch ca. 20 Prozent. Betroffene erhalten also nur wenig Rente. Und Hürden des Gesetzgebers für eine solche Rente sind groß.
Anders als die Berufsunfähigkeit orientiert sich die Erwerbsminderung nicht am zuvor ausgeübten Beruf. Das bedeutet: Sobald nur irgendein Beruf für wenigstens sechs oder drei Stunden ausgeübt werden kann, entfällt der gesetzliche Rentenanspruch ganz. Durch diese Regelung drohen ungeliebte Berufe weit unter dem bisherigen Status.
Nein! Denn um hierfür einen Anspruch zu erwerben, muss man in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Das haben Schüler in der Regel aber nicht.
Die Begründung ist ganz einfach: Die Versicherer haben auch Schüler als attraktive Zielgruppe entdeckt – und behandeln den Schulbesuch wie einen Beruf. Demnach kann auch ein Schüler eine BU-Rente beziehen, sobald er infolge von Krankheit oder Körperverletzung dauerhaft außerstande ist, zu mindestens 50 Prozent dem Unterricht nachzugehen.
Hier gehen die Meinungen der Experten auseinander. So meint BU-Experte Maximilian Beck gegenüber dem Versicherungsboten: "Werden in den Bedingungen keine eindeutigen oder sogar überhaupt keine Regelungen (für Schüler, Studenten und Auszubildende) festgeschrieben, so kann dies im konkreten Leistungsfall zu Nachteilen führen."
BU-Experte Philip Wenzel hingegen meint: "Schließt der Schüler mit 15 oder der Student mit 20 eine BUV ab, so ist er noch zwischen drei bis zehn Jahre Schüler oder Student. Die restlichen 42-49 Jahre ist er in irgendeinem Beruf. Da fühlt es sich nicht richtig an, eine Empfehlung für diese oder jene Klausel auszusprechen, die nur einen so kurzen Zeitraum betrifft. Vor allem nicht, wenn eine andere Klausel für die gesamte Laufzeit wichtiger wäre."
Die Anzeigepflicht birgt eine Gefahr: Produkte verschlechtern sich, sobald der Berufseintritt oder ein Berufswechsel kommt. Denn einige Versicherer schreiben über die Vertragsbedingungen fest, dass der Berufseintritt oder Berufswechsel zu melden ist – mit der Möglichkeit, das Risiko dann neu zu bewerten und teurere Beiträge zu erheben. Besser aber sind Policen, die auf diese Anzeigepflicht verzichten.
Ganz wichtig ist: Finger weg von Produkten mit „Abstrakter Verweisung“. Gemeint ist eine Klausel, die es ermöglichte, Kunden bei Berufsunfähigkeit einfach auf andere Tätigkeits- und Berufsfelder zu verweisen.
Laut abstrakter Verweisung würde Berufsunfähigkeit erst dann eintreten, wenn der Versicherte „seinen zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübten Beruf oder eine andere Tätigkeit" nicht mehr auszuüben „kann". Der Versicherte musste dies sogar nur “können"; nicht mal wirklich tun. Die bloße "abstrakte" Möglichkeit der anderen Tätigkeit reichte schon aus, um die Leistung zu verweigern.
Übersetzt in die Welt der Schüler könnte das bedeuten: Ein Gymnasiast würde nur dann eine BU-Rente erhalten, wenn er auch außerstande ist, eine Hauptschule zu besuchen. Zwar: innerhalb des Berufsbildes „Schüler“ ist eine abstrakte Verweisung sicher schwerer für den Versicherer möglich als innerhalb anderer Berufsbilder. Dennoch könnte auch ein Abstieg in der Bildungslandschaft Ergebnis der Abstrakten Verweisung sein. Die bloße "abstrakte" Möglichkeit des Besuchs einer anderen Schulform würde zur Leistungsverweigerung schon reichen
Mit der abstrakten Verweisung hebelten sich Versicherer in der Vergangenheit oft aus der Leistungspflicht. Diese Unsitte zu Lasten der Kunden aber ist heutzutage beinahe vom Markt verschwunden: die meisten Anbieter haben die Klauseln aus den Verträgen getilgt. Manche Versicherungsbedingungen erklären explizit einen Verzicht auf die abstrakte Verweisung.
Neuverträge in der BU-Versicherung werden oft mit günstigen Nettoprämien beworben: So sollen die Kunden mit niedrigen Prämien angelockt werden. Doch dieser günstige Beitrag ist dem Kunden keineswegs garantiert. Entwickeln sich die Überschüsse ungünstig wie im jetzigen Niedrigzins-Umfeld oder hat der Versicherer schlecht kalkuliert, kann die Prämie bis auf den rechtlich möglichen Bruttobeitrag steigen.
Der "Spread" zwischen Netto- und Bruttoprämie zeigt somit ein finanzielles Risiko an, das ernst genommen werden sollte. So haben einige Versicherer in den letzten Jahren für Negativschlagzeilen gesorgt, weil sie innerhalb eines Tarifes die Prämie um bis zu 40 Prozent angehoben haben.
Wer eine BU-Versicherung abschließt, sollte deswegen unbedingt auch den sogenannten Bruttobeitrag beachten: Sonst drohen hohe Prämiensprünge. Auch sollte bei einer BU-Versicherung für Schüler dringend beachtet werden, wie sich der Beginn einer Ausbildung, eines Studiums oder ein Berufseintritt auf den Versicherungsschutz oder die Prämienhöhe auswirkt.
Eine Schülerin oder ein Schüler bekommt Ritalin, um sich besser zu konzentrieren? Oder Diagnosen führen zu Lernerleichterungen und günstigeren Bedingungen beim Schreiben von Leistungskontrollen? Oder das Kind hat einen Haltungsschaden oder eine chronische Erkrankung der Atemwege? Solche Dinge müssen bei Antrag auf eine BU-Versicherung dringend angegeben werden.
Denn die Gesundheitsfragen sind die große Hürde vor Abschluss der BU-Police. Es gehört zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, vor Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung diese Gesundheitsfragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Antwortet ein Versicherungsnehmer nicht nach bestem Kenntnisstand, drohen ernste Folgen.
So darf der Versicherer in diesen Fällen zum Beispiel vom Vertrag zurücktreten – im schlimmsten Fall verliert der Versicherungsnehmer trotz langjähriger Zahlungen den Versicherungsschutz und damit den Anspruch auf Leistungen. Auch ermöglicht das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) eine rückwirkende Vertragsanpassung, die ebenfalls einen Verlust des Leistungsanspruchs für bestimmte Risiken bedeuten kann. Oder der Versicherer schließt wichtige Risiken vom Versicherungsschutz aus, sobald ihm bekannt wurde: Ein Versicherungsnehmer hat nicht wahrheitsgemäß geantwortet.
Wie ernst die Gefahr einer „vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung“ zu nehmen ist, zeigt ein Tipp von Experten: Um sich mit dem Versicherungsschutz wirklich „sicher“ zu sein, sollte ein Versicherungsnehmer seine Krankenakte sehr gründlich recherchieren, in der Regel für den Zeitraum der zurückliegenden fünf Jahre. Bei Schülern sollten die Eltern diese Aufgabe in aller Sorgfalt übernehmen. Denn jeder verschwiegene Arztbesuch könnte sich am Ende nachteilig für den Leistungsfall auswirken.
Ein Tipp ist besonders beachtenswert für alle Schüler mit Vorerkrankungen: Erste Kontakte zu den Versicherern sollten als anonyme Voranfrage geschehen – also ohne dass der Name des Antragstellers genannt wird. Wer bei einem Versicherer abgelehnt wird, muss nämlich fürchten, in der HIS-Auskunftei der Versicherungsbranche zu landen: eine Art schwarze Liste ähnlich der Schufa, in der Kunden mit Auffälligkeiten eingetragen werden. Alle Versicherer haben darauf Zugriff. Das erschwert einen Abschluss bei einem anderen Wettbewerber zusätzlich, wenn man schon von einem Versicherer abgelehnt wurde.
Besteht also eine Vorerkrankung, sollte der erste Weg zum Abschluss einer BU-Versicherung die Eltern zum Makler führen. Dieser kann dann verschiedene Versicherer über eine anonyme Voranfrage kontaktieren und sich Angebote zum Versicherungsschutz einholen und vergleichen.
Der wichtige BU-Schutz ist für Schüler besonders günstig zu erlangen, da Eintrittsalter und Gesundheitszustand wesentlich über die Höhe des Versicherungsbeitrages entscheiden. Zudem steigt mit zunehmenden Lebensjahren die Wahrscheinlichkeit für all jene Erkrankungen, die den Abschluss einer BU-Police erschweren. Treten die Erkrankungen auf, werden Policen teurer oder die Anbieter schließen bestimmte Vorerkrankungen vom Versicherungsschutz ganz aus. Schon diese Tatsache spricht für einen zeitigen Abschluss der BU-Police auch aus Verbrauchersicht.
Eltern eines Kindes, das vorhersehbar einen Handwerksberuf anstrebt, sollten vor allem eins: Nämlich schnell sein. Denn Handwerker werden in der BU-Versicherung meist besonders ungünstig eingruppiert aufgrund eines hohen Risikos, berufsunfähig zu werden – oft bezahlen sie das vierfache eines Büroangestellten. Schüler sind aus diesem Grund günstiger zu versichern als handwerkliche Berufe – auch dann, wenn der Schüler ein Handwerk als Beruf anstrebt. Zumal ein Schüler, anders als ein Handwerker in einem Risikoberuf, meist problemlos eine BU-Police erhält.
Laut BU-Experte Philip Wenzel kann die Ersparnis über die gesamte Laufzeit hinweg im fünfstelligen Bereich liegen, wenn man zukünftige Handwerker schon als Schüler absichert. BU-Experte Matthias Helberg pointiert sogar: Strebt die Schülerin oder der Schüler einen Beruf im Handwerk an, dann ist der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung mittlerweile oftmals die letzte Chance auf bezahlbare Beiträge.
In der Regel ist eine selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (SBU) besser als ein Kombinationsprodukt. Denn die SBU bietet mehr Flexibilität – kann man zum Beispiel bei einer Rentenversicherung mit SBU-Baustein die Rentenversicherung nicht mehr bezahlen, verliert man auch den BU-Schutz.
Wie so viele Versicherungsprodukte lässt sich auch eine BU-Versicherung mittlerweile online abschließen. Allerdings wird bei bei den komplexen BU-Produkten davon abgeraten.
Denn die "Selbstvermittlung" führt schnell dazu, dass im Schadenfall trotz Beitragszahlung keine Leistung erbracht wird oder viel Geld verloren geht. Deswegen sollte man sich stets von einem Experten beraten lassen. Das gilt auch für Eltern, die eine BU-Versicherung für ihr Kind abschließen wollen. Denn im schlimmsten Fall schließen sie ein Produkt ab, das im Schadenfall nicht leistet – und erweisen dem Nachwuchs so einen Bärendienst.
Wichtig ist für Eltern: Das Kind sollte über die Notwendigkeit der Versicherung aufgeklärt werden und auch zum Abschluss mitgenommen werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Kind die Versicherung später im Erwachsenenalter auch fortführt. Zudem sollte geregelt werden, wer die Prämien übernimmt, wenn das Kind volljährig wird und wann der Wechsel des Versicherungsnehmers in der Police stattfindet.
Laut BU-Experte Matthias Helberg werden Berufsunfähigkeitsversicherungen an Schüler ab dem Alter von 10 Jahren vermittelt; Anwartschaften auf eine BU werden sogar schon für Kinder ab sechs Monaten vermittelt.