Wie nachhaltig ist die Versicherungswirtschaft? Das Analysehaus Franke & Bornberg hat die Branche zum vierten Mal unter Nachhaltigkeitsaspekten unter die Lupe genommen. Insgesamt wurden für den ESG-Report 2024 23 Versicherungskonzerne durchleuchtet - das sind etwas weniger als im vergangenen Jahr. Gemessen an den gebuchten Bruttobeiträgen repräsentieren sie 50 Prozent des Erstversicherungsmarktes, wie die Hannoveraner gegenüber der Presse mitteilen.

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Die Abkürzung ESG steht für Nachhaltigkeit in den Bereichen Environmental, Social und Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Hier sieht Michael Franke, Geschäftsführer der Franke und Bornberg und Initiator des ESG-Reports, auch die Versicherer in der Pflicht: „Nachhaltigkeit ist eine wirtschaftliche Chance und eine moralische Verpflichtung. Und Versicherer haben die Hebel in der Hand aktive Gestalter der Transformation zu sein.“

Im Segment Umwelt lenkt der aktuelle Report den Blick zum Beispiel auf Treibhausgasemissionen, den Verbrauch von Wasser, Strom, Papier und Heizenergie in den Unternehmen, die Abfallmengen sowie Dienstreisen und Arbeitswege. Bei Soziales geht es um Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, Tarifverträge und Ausbildungsplätze, aber auch um das Engagement für das Gemeinwohl durch Spenden und Sponsoring. Zudem wirft der Report einen Blick auf die Nachhaltigkeit der Produkte und Kapitalanlagen der Versicherer.

Kapitalanlage

Einer der wichtigsten Hebel für nachhaltiges Engagement der Versicherer ist die Kapitalanlage. Und hier haben wir es mit mächtigen Akteuren zu tun. Im Jahr 2022 belief sich der Kapitalanlagebestand der Erst- und Rückversicherer nach Angaben des Branchenverbandes GDV auf rund 1,9 Billionen Euro (neuere Zahlen nicht vorliegend), schließlich betreuen die Assekuranzen zum Beispiel die private und betriebliche Altersvorsorge vieler Deutscher - und im Falle großer Versicherer wie die Allianz sogar in vielen anderen Ländern der Welt. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 werden die Ausgaben des Bundeshaushalts laut Bundesfinanzministerium voraussichtlich 445,7 Milliarden Euro betragen.

Auf ihrem Weg zum nachhaltigen Investment würden die Versicherer verschiedene Anlagestrategien kombinieren. Ein Großteil der Unternehmen definiert Ausschlusskriterien: zum Beispiel, dass sie keine neuen Kohlekraftwerke mehr versichern oder keine Unternehmen, die durch Kinderarbeit und Verstöße gegen Menschenrechte aufgefallen sind.

Franke und Bornberg

Unterschiedliche Anlagestrategien schließen hierbei einander nicht aus, wie es im Pressetext heißt. So kann zum Beispiel der Best-in-Class-Ansatz (BiC) mit einer Negativselektion kombiniert werden. Das „Best-in-Class“-Prinzip besagt, dass aus verschiedenen Branchen diejenigen Unternehmen ausgesucht werden, die Nachhaltigkeitskriterien am besten erfüllen. Bei der Negativselektion werden bestimmte umweltschädliche Branchen von vorn herein bei der Geldanlage ausgegrenzt.

Wiederholt haben Versicherer auch zum Ausdruck gebracht, dass sie als institutionelle Investoren Druck auf die Unternehmen ausüben wollen, in die sie ihr Geld stecken: und sie so zu mehr Nachhaltigkeit zwingen wollen. Entsprechend finden sich auch Strategien wie "Stimmrechtsausübung" und "Gespräche mit dem Management" unter den Anlagestrategien. Die Versicherer nutzen folglich ihr Stimmrecht als Aktionär bzw. suchen das Gespräch mit dem Vorstand, um so mehr Nachhaltigkeit in den Unternehmen und Branchen durchzusetzen.

Nachhaltige Versicherungsprodukte

Auch das Kerngeschäft bietet Versicherern Möglichkeiten, nachhaltiger zu agieren: Sie können ihren Kundinnen und Kunden gezielt Produkte anbieten, die ESG-Aspekte berücksichtigen. Nachhaltige Produktfeatures umfassen sowohl Investitionen in nachhaltige Fonds oder eine umweltfreundliche Kapitalanlage als auch Zusatzleistungen oder Rabatte, die nachhaltiges Verhalten belohnen. Darüber hinaus kann ein nachhaltiges Produktangebot auch darin bestehen, Personen oder Berufsgruppen Versicherungsschutz zu ermöglichen, die sonst nur schwer oder gar nicht versicherbar wären.

Der ESG-Report 2024 hat die teilnehmenden Versicherungsunternehmen hinsichtlich ihrer nachhaltigen Produktangebote in den Sparten Kranken-, Lebens- und Sachversicherung untersucht:

Franke und Bornberg

In der Krankenversicherung können zwölf Versicherer nachhaltige Produktangebote vorweisen. Elf Unternehmen haben dagegen keine entsprechenden Produkte im Portfolio. Bei den Lebensversicherungen präsentieren 14 Unternehmen nachhaltige Lösungen, während sieben Versicherer keine Lebensversicherungen führen und zwei keine Angaben machten. Im Bereich der Sachversicherung zeigt sich die größte Marktdurchdringung: 18 Versicherer bieten nachhaltige Sachprodukte an. Lediglich drei Unternehmen verzichten komplett auf Sachversicherungsprodukte, während zwei keine Details dazu bekannt gaben.

Ressourcenverbrauch

Beim Papier- und Energieverbrauch der Versicherer in Deutschland zeigt sich im ESG-Report 2024 ein klarer Abwärtstrend: So hat sich der durchschnittliche Papierverbrauch pro Vollzeitkraft (FTE) von 87 kg auf 64 kg reduziert. Ein großer Teil der Unternehmen setzt dabei auf umweltfreundliche Lösungen: 61 % der untersuchten Versicherer nutzen bereits Recyclingpapier. Zudem steigt die Akzeptanz von Umweltlabels. 83 % der Versicherer kennzeichnen ihre Papierprodukte mit entsprechenden Zertifikaten, wobei das EU Ecolabel (14 Nennungen) und das FSC-Label (13 Nennungen) am häufigsten verwendet werden.

Auch beim Energieverbrauch verzeichnet der aktuelle ESG-Report Fortschritte: Während der durchschnittliche Stromverbrauch eines Ein-Personen-Haushalts in Deutschland zwischen 1.400 und 2.700 kWh jährlich liegt, bleiben 74 % der 23 analysierten Versicherer unter der oberen Grenze von 2.700 kWh – ein Zeichen für eine bereits hohe Energieeffizienz. Der bisherige Spitzenwert von 11.000 kWh pro FTE wurde deutlich unterschritten.

Beim Heizenergieverbrauch zeigt sich ein ähnliches Bild: Der Durchschnitt sank von 3.301,47 kWh auf 2.624,98 kWh pro FTE. Auch die Nutzung nachhaltiger Heizarten nimmt zu: 71 % der Versicherer setzen zumindest teilweise auf nachhaltige Heizlösungen. Dabei verwenden 29 % ausschließlich nachhaltige Heizarten, während weitere 43 % ihre Heizsysteme zur Hälfte oder mehr auf umweltfreundliche Optionen umgestellt haben.

Arbeitsumfeld und Soziales Engagement

Das Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit zeigt sich auch bei der Gestaltung des Arbeitsumfelds: So schaffen nahezu alle der untersuchten Versicherer Anreize, den Arbeitsweg umweltfreundlicher zu gestalten. Besonders im Fokus stehen Anreize für die Fahrradnutzung: 20 der befragten Versicherer stellen gesicherte Abstellmöglichkeiten für Fahrräder bereit, während 21 Unternehmen ein Fahrradleasing-Programm anbieten. Einige Versicherer bieten zusätzliche Angebote wie Duschräume und Umkleidemöglichkeiten, Ladestationen für E-Bikes, den Verleih von Dienstfahrrädern oder Bike-Sharing-Programme an.

Auch die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs wird gefördert: 17 Versicherer bieten ihren Mitarbeitenden Job-Tickets an oder bezuschussen diese finanziell. Für Beschäftigte, die mit dem Auto pendeln, setzen 19 Versicherer durch die Bereitstellung von Ladestationen für Elektroautos Impulse zur Reduktion des CO₂-Fußabdrucks.

Franke und Bornberg

Bei der Spendenquote ist dagegen immer noch Luft nach oben: Die höchsten Spendenquoten liegen bei 0,00775 % und 0,000941 % in Relation zu den Beitragseinnahmen. 50 % der Versicherer haben eine Spendenquote zwischen 0,000088 % und 0,000014 %.

Erstmals fragte der ESG-Report die Unternehmen danach, in welchen Bereichen sie ihre Spenden einsetzen. Zur Auswahl standen die Bereiche Naturschutz und Landschaftspflege, Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Tierschutz, Sport, Denkmalschutz, die Unterstützung von Hilfsorganisationen sowie sonstige Projekte. Am häufigsten gaben die Versicherer an, Bildung- und Erziehungsprojekte (12 Nennungen) sowie Hilfsorganisationen (13 Nennungen) mit Spenden zu unterstützen. 11 der befragten Versicherungsunternehmen gaben an, „sonstige Projekte“ zu unterstützen, die meist regionale und/oder soziale Initiativen umfassen.

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Nachhaltige Versicherer: Vier sind ausgezeichnet

Parallel zum ESG-Report veröffentlicht Franke und Bornberg seit 2022 auch ein ESG-Rating, das die Nachhaltigkeit von Versicherungsunternehmen bewertet. Grundlagen sind auch hier eine detaillierte Erhebung sowie weitere eigene Recherchen. Die folgenden vier Versicherungsunternehmen haben sich 2024 der Bewertung gestellt: Barmenia, Generali, HDI und die Nürnberger Versicherung.